@phdthesis{Corthier2019, author = {Jochen Corthier}, title = {Zur Interdependenz von nat{\"u}rlicher und r{\"a}umlicher Bev{\"o}lkerungsbewegung l{\"a}ndlich-peripherer Abwanderungsgebiete Ostdeutschlands am Beispiel der Residualbev{\"o}lkerung in Mecklenburg-Vorpommern}, journal = {The interdependence between natural population change and migrational population change in peripheral rural areas of East Germany using the example of the Residualbev{\"o}lkerung in Mecklenburg-Vorpommern}, url = {https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-opus-27738}, pages = {355}, year = {2019}, abstract = {Die dynamische Bev{\"o}lkerungsentwicklung Ostdeutschlands seit 1990 zeigt am Beispiel der Entstehung einer Residualbev{\"o}lkerung die unterschiedlichen Variationen der Selektivit{\"a}t von Wanderungen: Einer Bev{\"o}lkerung, die aufgrund langfristig wirkender selektiven Wanderungsverluste im l{\"a}ndlich-peripheren Raum ein spezifisches demographisches Verhalten aufweist. Der Wanderungsverlust Ostdeutschlands mit {\"u}ber 2,5 Millionen Menschen hat tiefgreifende Auswirkungen auf die alters-, geschlechts- und bildungsspezifische Bev{\"o}lkerungsstruktur der neuen Bundesl{\"a}nder hinterlassen. Auch wenn die jungen Generationen zumeist das politisch geeinte Deutschland leben, existieren mit Blick auf die vorliegenden demographischen Prozesse und Strukturen bis heute nahezu zwei deutsche Staaten. Die Entwicklungen sowie die Auswirkungen insbesondere der r{\"a}umlichen Bev{\"o}lkerungsbewegung wurden entsprechend dem Stand der Forschung vor dem Hintergrund der Situation Ostdeutschlands vorgestellt und die darauf aufbauenden Forschungsthesen benannt. Das bisher nur theoretische Konstrukt der Residualbev{\"o}lkerung, die Interdependenz aus nat{\"u}rlicher und r{\"a}umlicher Bev{\"o}lkerungsbewegung, wurde anhand von unterschiedlichen demographischen Parametern (u. a. hohe Fertilit{\"a}t, hohe Mortalit{\"a}t, starke Wanderungsverluste, gro{\"s}es Frauendefizit, {\"U}beralterung) eingeordnet und damit als messbar definiert. Am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns konnte anschlie{\"s}end gezeigt werden, wie sich die Bev{\"o}lkerungsstruktur des ehemals j{\"u}ngsten Bundeslandes aufgrund der selektiven Migration innerhalb eines Vierteljahrhunderts in das {\"a}lteste umkehrte. Um diesen Verlauf nachzuvollziehen, wurden auf Gemeindeebene die unterschiedlichen Bewegungsentwicklungen ab 1990 dargestellt: Der R{\"u}ckgang der Sterblichkeit, der Wiederanstieg der Fertilit{\"a}t sowie der sich manifestierende Wanderungsverlust junger Frauen. Daran anschlie{\"s}end zeigten Strukturberechnungen, wie sowohl das Billeter-Ma{\"s} als auch Geschlechterproportionen, die umfassenden Auswirkungen der Bewegungen auf den Bev{\"o}lkerungsstand und dessen Struktur Mecklenburg-Vorpommerns: Einen stetigen R{\"u}ckgang der Bev{\"o}lkerungszahlen, ein {\"u}ber-proportionales Frauendefizit in j{\"u}ngeren Altersjahren und eine fortlaufend beschleunigte Alterung der Bev{\"o}lkerung. Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen wurde f{\"u}r die Zeitr{\"a}ume 1990-2001 und 2002-2013 jeweils eine Clusteranalyse durchgef{\"u}hrt, die als Ergebnis eine Typisierung von Gemeinden hinsichtlich einer messbaren Residualbev{\"o}lkerung erm{\"o}glichten. Entsprechend der Vordefinition eines solchen migrationellen Konstruktes konnte f{\"u}r etwa jede f{\"u}nfte Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern solcherart demographische Bedingungen identifiziert werden. Diese Gemeinden liegen tendenziell im Binnenland und fern der Zentren – eine zentrale Verortung konnte nicht festgestellt werden. Von Gemeinde zu Gemeinde unterschieden sich die demographischen Parameter teils stark, so dass von einflussreichen lokalen (nicht betrachteten) Rahmenbedingungen ausgegangen werden muss. Dagegen konnten auch Gemeinden ohne residuale Z{\"u}ge identifiziert werden. Etwa jede dritte Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns wies keine Parameter einer Residualbev{\"o}lkerung auf. Diese Regionen waren vor allem in der N{\"a}he der Zentren und der K{\"u}ste zu finden. Die verbliebenen Gemeinden zeigten nur kurzfristig oder nur im geringf{\"u}gigem Ma{\"s}e Indizien f{\"u}r eine solche Bev{\"o}lkerung – das betraf etwa die H{\"a}lfte aller Gemeinden im Land. Nach der gesamtgemeindlichen Analyse wurde die Bev{\"o}lkerungs- und Sozialstruktur der dabei betroffenen Gemeinden Strasburg (Um.) im Landkreis Vorpommern-Greifswald und Dargun im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte detailliert analysiert. Die Bev{\"o}lkerungsentwicklung beider Betrachtungsgemeinden entsprach der vieler ostdeutscher Kleinst{\"a}dte im l{\"a}ndlichen Raum nach der politischen Wende: W{\"a}hrend die Gemeinden in der DDR Bev{\"o}lkerungswachstum erfuhren oder zumindest gleichbleibende Bev{\"o}lkerungszahlen als regionales Zentrum aufwiesen, verursachte die Abwanderung vor allem junger Menschen und ein manifestierter Sterbe{\"u}berschuss nach 1990 stetig r{\"u}ckl{\"a}ufige Zahlen. In diesen beiden Gemeinden wurden dann nicht gesamtgemeindliche Bev{\"o}lkerungszahlen analysiert, sondern vielmehr die Zusammensetzung einer Gemeindebev{\"o}lkerung vor dem Hintergrund ihres Migrationsstatus differenziert. F{\"u}r den Zeitraum 1979-2014 wurden deshalb anhand dieses Status die Bev{\"o}lkerungen beider Gemeinden in Sesshafte und Zugezogene unterteilt. Aufgrund der sowohl vorhandenen Sterbe- als auch Geburtsstatistik war es m{\"o}glich, die nat{\"u}rliche und r{\"a}umliche Bev{\"o}lkerungsbewegung der insgesamt fast 22.000 Men-schen direkt herauszuarbeiten. Die sesshafte Bev{\"o}lkerung repr{\"a}sentiert dabei die Menschen, die am ehesten dem Typus „Residualbev{\"o}lkerung“ entsprechen. Nach Berechnung der Mortalit{\"a}ten f{\"u}r unterschiedliche Zeitr{\"a}ume ergab sich tendenziell eine h{\"o}here Sterblichkeit bzw. geringere Lebenserwartung der Sesshaften gegen{\"u}ber den Zuz{\"u}glern bei Frauen wie M{\"a}nnern. Wurden dar{\"u}ber hinaus die Zugezogenen nach Lebensdauer in den Betrachtungsgemeinden differenziert, ergab bei beiden Geschlechtern eine l{\"a}ngere Zugeh{\"o}rigkeit zu den Gemeinden auch eine h{\"o}here Sterblichkeit. Damit wurde einerseits die generell h{\"o}here Mortalit{\"a}t des l{\"a}ndlich-peripheren Raums gegen{\"u}ber dem urbanen Raum best{\"a}tigt. Andererseits entspricht die h{\"o}here Sterblichkeit der sesshaften gegen{\"u}ber der der nichtsesshaften Bev{\"o}lkerung den Vor{\"u}berlegungen zur Residualbev{\"o}lkerung. Dar{\"u}ber hinaus wurde zus{\"a}tzlich der Parameter „Bed{\"u}rftigkeit“ ber{\"u}cksichtigt. Hier konnte erwartungsgem{\"a}{\"s} f{\"u}r beide Betrachtungsgemeinden die h{\"o}chste Sterblichkeit der von Sozial-leistungen betroffenen Menschen festgestellt werden. Je l{\"a}nger dabei die Bezugsdauer, umso h{\"o}her war die aufgezeigte Mortalit{\"a}t – dies sogar zumeist vor der sesshaften Bev{\"o}lkerung. Bezieher von Sozialhilfe waren im Vergleich zu Beziehern von Wohngeld am st{\"a}rksten betroffen; Unterschiede bei M{\"a}nnern besonders stark vertreten. Die Nichtbezieher wiesen bei beiden Geschlechtern die geringste Sterblichkeit auf. Neben der Mortalit{\"a}t wurde als zweite Variable der nat{\"u}rlichen Bev{\"o}lkerungsbewegung die Fertilit{\"a}t der beiden Bev{\"o}lkerungsgruppen untersucht. Hier ergaben sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Bev{\"o}lkerungsgruppen Im Bereich der Periodenfertilit{\"a}t wiesen Zuz{\"u}gler gegen{\"u}ber den Sesshaften eine erh{\"o}hte Fertilit{\"a}t auf. Berechnungen der Kohortenfertilit{\"a}t ergaben wiederrum eine leicht h{\"o}here Fertilit{\"a}t der Sesshaften. Auch eine detaillierte Analyse der Zuz{\"u}glerinnen offenbarte kein einheitliches Bild. Mit Blick auf die Bed{\"u}rftigkeit war festzustellen, dass die Bezieherinnen eine deutlich h{\"o}here Fertilit{\"a}t gegen{\"u}ber Nichtbezieherinnen – unabh{\"a}ngig von der Bezugsdauer – aufwiesen. Im Ergebnis wurde damit zwar die generell h{\"o}here Fertilit{\"a}t des l{\"a}ndlich-peripheren Raums gegen{\"u}ber dem urbanen Raum best{\"a}tigt. Die entsprechenden Vor{\"u}berlegungen zur Fertilit{\"a}t der sesshaften gegen{\"u}ber der nichtsesshaften Bev{\"o}lkerung konnten aber nicht eindeutig verifiziert werden. Die gesamtheitliche Betrachtung der Gemeindeberechnungen zeigte demzufolge ein zweitgeteiltes Bild: Die Ergebnisse der Mortalit{\"a}t best{\"a}tigen die Annahmen zur Residualbev{\"o}lkerung, die Ergebnisse der Fertilit{\"a}t nur in Teilen. Auch wenn die festgestellten Fertilit{\"a}ts- und Morta-lit{\"a}tsunterschiede ortsbehaftet sind – sei es durch Umwelteinfl{\"u}sse vor Ort oder die Art der Menschen zu leben: Je l{\"a}nger die Menschen in Regionen mit einem bestimmten Fertilit{\"a}ts- und Mortalit{\"a}tsniveau leben, umso st{\"a}rker passen sie sich diesem an – in beide Richtungen. Vor dem Hintergrund sowohl der Typisierung aller Gemeinden als auch der beiden Betrach-tungsgemeinden ist zu konstatieren, dass beide Variablen der nat{\"u}rlichen Bev{\"o}lkerungsbewegung nichtgleichberechtigt nebeneinander zur Erkl{\"a}rung einer Residualbev{\"o}lkerung fungieren m{\"u}ssen. Unter der Beibehaltung der theoretischen Annahmen ist dementsprechend zuk{\"u}nftig von einer Residualbev{\"o}lkerung mit Schwerpunkt einer hohen Mortalit{\"a}t einerseits und mit Schwerpunkt einer hohen Fertilit{\"a}t andererseits auszugehen. Das bisher in der Literatur benannte Frauendefizit stellt dar{\"u}ber hinaus nur einen Parameter unter mehreren dar und sollte bei nachfolgenden Betrachtungen nicht als alleiniger Indikator dienen. Unter Ber{\"u}cksichtigung der Ergebnisse sowohl aus beiden Gemeinden als auch aus den Clus-teranalysen wurde ein Modell einerseits zur Entstehung der Residualbev{\"o}lkerung, andererseits zum Wirken der selektiven Migration generell erstellt. In Abh{\"a}ngigkeit von Alter und Geschlecht und unter Voraussetzung einer langfristig konstanten Wanderungsbewegung konnte so der theoretische Einfluss der r{\"a}umlichen Bev{\"o}lkerungsbewegung auf die Bev{\"o}lkerungsstruktur – und damit indirekt auch auf die nat{\"u}rliche Bev{\"o}lkerungsbewegung – vereinfacht projiziert werden. Der ostdeutsche l{\"a}ndlich-periphere Raum ist abschlie{\"s}end als Sonderform des l{\"a}ndlich-peripheren Raums einzuordnen. Die hier gezeigte Residualbev{\"o}lkerung kann als ein Indikator f{\"u}r – den gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Verwerfungen geschuldeten – langfristige Wanderungsverluste eingeordnet werden. Die {\"u}berproportional ausgepr{\"a}gte Bed{\"u}rftigkeit im l{\"a}ndlich-peripheren Raum kann deshalb auch als ein Merkmal der Sesshaftigkeit eingeordnet werden. Insofern ist die Residualbev{\"o}lkerung, vor dem Hintergrund der dar{\"u}ber hinaus als perspektivisch ung{\"u}nstig erachteten Zukunftsaussicht, als Bev{\"o}lkerungsgruppe eines Raumes abnehmender Entwicklungsstufe zu verstehen. Es ist daher ratsam, einerseits eine Verbesserung der Lebenssituation betroffener Menschen in l{\"a}ndlich-peripheren R{\"a}umen zu erwirken und andererseits diesen Herausforderungen raumplanerisch st{\"a}rkeres Gewicht zu verleihen. Die zuk{\"u}nftige dahingehende Gestaltung l{\"a}ndlich-peripherer R{\"a}ume in Ostdeutschland bedarf aus Sicht des Autors deshalb mehr an Autarkie sowie flexibler Kreativit{\"a}t.}, language = {de} }