@phdthesis{Wunsch2020, author = {Lisa Wunsch}, title = {Vergleich der angewandten antiretroviralen HIV-Therapie im st{\"a}dtischen (Berlin) und im l{\"a}ndlichen (Greifswald) Raum}, journal = {Comparison of HIV therapy applied in urban and rural areas – results of a retrospective study between Berlin and Greifswald/Vorpommern}, url = {https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-opus-36199}, pages = {84}, year = {2020}, abstract = {Hintergrund: Die Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) ist keine t{\"o}dliche Krankheit mehr [1]. Mit dem Aufkommen der HAART (highly active antiretroviral therapy) im Jahre 1996 und ihrer stetigen Weiterentwicklung hin zur cART (combined antiretroviral therapy) stieg der Behandlungserfolg bei HIV-infizierten Personen drastisch an. Eine Kombination aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen machte die Therapie effizienter und verbesserte die Lebensqualit{\"a}t von HIV-Patienten [92]. Doch obwohl sich die Medikation als gut und wirksam erwiesen hat, ist sie nicht frei von Nachteilen. Die Adh{\"a}renz bei der Medikamenteneinnahme ist bei vielen Patienten nicht ausreichend, was unter anderem Nebenwirkungen, sozialen Faktoren, Stigmatisierung und Komorbidit{\"a}ten geschuldet ist. Unterschreitet die Medikamenteneinnahme 95 \% der verordneten Dosis, besteht die Gefahr von Resistenzbildung, die mit hohen Kosten f{\"u}r das Gesundheitssystem und gesundheitlichen Risiken f{\"u}r die infizierte Person verbunden ist [4, 10]. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der antiretroviralen Therapie hat zu einer deutlichen Ver{\"a}nderung der Anspr{\"u}che an die Qualit{\"a}t der Versorgung gef{\"u}hrt. W{\"a}hrend in den Anfangstagen der HIV-Behandlung das Hauptaugenmerk auf die Verhinderung von opportunistischen Infektionen (OI) gelegt wurde, sind inzwischen Aspekte wie die langfristige Virussuppression und die stabile Rekonstitution des Immunsystems die Mindestanforderungen der Therapie. Trotz dieser allgemeing{\"u}ltigen Ziele gibt es regional unterschiedliche Herausforderungen. Zur unterschiedlichen Versorgungsqualit{\"a}t in l{\"a}ndlichen und st{\"a}dtischen Regionen existieren nur rudiment{\"a}re Daten. Ziel dieser Arbeit war, diese Daten prototypisch f{\"u}r Berlin und Greifswald zu erheben. Methoden: Im Rahmen der Qualit{\"a}tssicherungsvereinbarung zur strukturierten Patientenversorgung nach \S 135 Abs. 2 SGB V wurden gem{\"a}{\"s} EBM seit 2009 in Berlin sowie in Greifswald Daten HIV-positiver Patienten im Rahmen der Routineversorgung erhoben. Von 43 Patienten in Greifswald konnten 41 mit einer HIV-Erkrankung in unsere Studie eingeschlossen werden. In Berlin umfasste die Ursprungskohorte einer Schwerpunktpraxis 1669 Patienten. Eingeschlossen wurden aufgrund der von uns angelegten Kriterien (Sampling der Berliner Patientendaten nach Alter und Geschlecht) jedoch nur 187 Patienten. Die wichtigsten Ausschlusskriterien waren eine fehlende Einwilligung zur Studienteilnahme sowie ein Lost to follow-up (LTFU) {\"u}ber mehr als drei Quartale. Die Auswertung der bizentrischen, nicht interventionellen Korrelationsstudie erfolgte retrospektiv. Der Beobachtungszeitraum betrug f{\"u}nf Jahre (01/2009 – 01/2014). Hauptaugenmerk der Datenauswertung wurde auf die Erfassung, den Vergleich und die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der demografischen, immunologischen, virologischen, klinischen und therapeutischen Daten der beiden Kohorten gelegt. Die Auswertung erfolgte mithilfe des Statistikprogrammes R (Version 3.2.1). Statistische Signifikanz wurde bei p ≤ 0,05 angenommen. Ergebnisse: Vor Durchf{\"u}hrung des Samplings bestanden deutliche Unterschiede hinsichtlich der demografischen Daten in beiden Kohorten. Bei gleichem Altersdurchschnitt (Median Berlin (B): 44,4 Jahre; Greifswald (G): 44,5 Jahre; p = 0,94) war der Anteil HIV-infizierten Frauen in Greifswald deutlich h{\"o}her (B: 9,4\%; G: 22\%; p = 0,01), was sich im l{\"a}ndlichen Raum auch in einer vergleichsweise geringen Transmissionsrate der HIV-Infektion {\"u}ber M{\"a}nner, die Sex mit M{\"a}nnern haben (MSM) niederschlug (B: 141/187 [75,4\%]; G: 17/41 [41,46\%]; p = 5,384e-05). Zu Therapiebeginn zeigte sich eine im Median signifikant geringere CD4+ T-Lymphozytenzellzahl in Greifswald als in Berlin (B: 516/µl; G: 266/µl; p < 0,001). Weiterhin hatten in Greifswald mehr Patienten einen Ausgangswert von <200 CD4+ T-Zellen je µl Blut (B: 12/187 [6,41\%]; G: 13/41 [31,7\%]; p < 0,001). Ungeachtet dieser unterschiedlichen Ausgangssituationen glichen sich die CD4+ T-Zellzahlen unter cART nach drei Quartalen auf ein einheitlich hohes Niveau an (B: 564/µl; G: 416/µl; p = 0,095). Die Viruslast (VL) lag in Greifswald zu Therapiebeginn nicht signifikant {\"u}ber der von Berlin (p = 0,17). Ein Abfall der VL unter cART auf ein Level von < 50 Kopien/ml erfolgte in beiden Kohorten {\"a}hnlich schnell (B: 128d; G: 137d; p= 0,8). Von allen 184 bzw. 41 diagnostizierten Patienten wurden in beiden Kohorten > 80 \% mit cART versorgt (B: 153/184 [83,15\%]; G: 36/41 [87,8\%]; p = 0,12). Ein Absenken der VL unter die Nachweisgrenze (NG) gelang in beiden Kohorten bei mehr als der H{\"a}lfte der Patienten (B: 115/184 [62,5\%]; G: 23/41 [56,09\%]; p = 0,085). Die Firstline-Therapie (FL) wurde in Berlin im Median 1127 d und in Greifswald 809 d eingenommen (p = 0,09). Eingesetzte Therapieregime in FL sowie in Secondline (SL) waren in beiden Kohorten weitgehend {\"u}bereinstimmend (FL: p = 0,48; SL: p = 0,08). Therapiewechsel fanden etwa in gleicher H{\"a}ufigkeit statt (B: 33,5\%; G: 32,1\%; p = 0,87), w{\"a}hrend die Gr{\"u}nde f{\"u}r einen Therapiewechsel voneinander abwichen (p = 0,0076). Therapieumstellungen fanden in Berlin am h{\"a}ufigsten aufgrund einer Therapievereinfachung (Umstellung auf Single-tablet regimen (STR)) oder auf Patientenwunsch statt, w{\"a}hrend in Greifswald medikamentenassoziierte Probleme wie Resistenzbildung und das Auftreten von Nebenwirkungen am h{\"a}ufigsten als Ursache f{\"u}r einen Therapiewechsel benannt wurden. Koinfektionen wie Hepatitis C (HCV) und Hepatitis B (HBV) traten in beiden Kohorten mit gleicher H{\"a}ufigkeit auf (p = 1), auch die Anzahl an durchgef{\"u}hrten HBV-Impfungen differierte nicht (p = 0,68). Ein R{\"u}ckgang der OI war nach Beginn mit cART in beiden Kohorten gleicherma{\"s}en zu verzeichnen (p = 0,87). Diskussion: Die Auswertungen unserer Studie zeigen insgesamt, dass die Versorgung von HIV-infizierten Patienten sowohl in st{\"a}dtischen als auch in l{\"a}ndlichen Regionen leitlinienkonform durchgef{\"u}hrt wird und die Qualit{\"a}t sehr hoch ist. Dieses Fazit kann gezogen werden, obgleich sich die Patienten aus Greifswald mit ihrer Erkrankung bei Therapiebeginn in einem deutlich weiter fortgeschrittenen Stadium befanden. Die Zahl der CD4+ T-Lymphozyten bei Erstdiagnose bzw. bei Therapiebeginn hat sich dabei als wichtigster Vorhersagewert etabliert, da niedrige Werte in direkter Verbindung mit dem Auftreten von Komorbidit{\"a}ten stehen. Ein sp{\"a}ter Beginn mit cART ist weiterhin direkt mit einer erh{\"o}hten Morbidit{\"a}t und Mortalit{\"a}t assoziiert [48, 49], besonders dann, wenn die CD4+ T-Lymphozyten bei Beginn mit cART bereits unter 200/µl abgesunken sind [50,51]. Trotzdem gelingt durch eine leitlinienorientierte und stringente Therapie eine Angleichung der Werte innerhalb kurzer Zeit, was f{\"u}r ein hohes Versorgungsniveau auch im l{\"a}ndlichen Raum spricht. Zwischen dem Leben im l{\"a}ndlichen Raum und einem sp{\"a}ten Beginn mit cART scheint des Weiteren ein Zusammenhang zu bestehen [52]. Als m{\"o}gliche Ursachen hierf{\"u}r werden verminderte Risikowahrnehmung, gr{\"o}{\"s}ere Stigmatisierung, weniger Diskretion und Anonymit{\"a}t, ein geringerer Bildungsgrad sowie ein schlechterer Zugang zu Aufkl{\"a}rungskampagnen und Screening-Ma{\"s}nahmen angegeben [52, 54, 55]. Ob diese Gr{\"u}nde auch f{\"u}r Greifswald G{\"u}ltigkeit besitzen, erfordert weiteren Nachforschungen. Mitverantwortlich f{\"u}r die unterschiedlichen Ausgangssituationen k{\"o}nnte des Weiteren sein, dass in Greifswald die Versorgung von HIV-positiven Patienten nicht durch eine Fachabteilung, sondern - aus historischen Gr{\"u}nden - durch verschiedene Ambulanzen bzw. Klinken mitgetragen wurde. Ein Umstand, der Ende 2014 durch die Betreuungs{\"u}bernahme aller HIV-Patienten in die Klinik und Poliklinik f{\"u}r Hautkrankheiten der Universit{\"a}tsmedizin Greifswald bereits ge{\"a}ndert wurde und dessen Effekte es im Nachgang zu evaluieren gilt. Die cART wurde in beiden Kohorten wirkstoffgleich verordnet, w{\"a}hrend die Gr{\"u}nde f{\"u}r Therapiewechsel voneinander abwichen. Am ehesten erkl{\"a}rbar ist die h{\"a}ufige Umstellung der cART auf Patientenwunsch in Berlin dabei durch viele HIV-Schwerpunktpraxen, HIV-Selbsthilfegruppen und AIDS-Treffpunkte in der Hauptstadt, die einen regeren Austausch {\"u}ber neue Therapieregime und M{\"o}glichkeiten zur Verbesserung bzw. zur Vereinfachung der Therapie erm{\"o}glichen.}, language = {de} }