@phdthesis{Lau2013, author = {Stephan Lau}, title = {Zur Divergenz von gegebener und erlebter Freiheit in Entscheidungen – ein psychologischer Beitrag zur Erkl{\"a}rung menschlichen Freiheitserlebens}, journal = {The Difference Between Actual and Experienced Freedom in Decisions – An Attempt to Explain the Experience of Freedom from a Psychological Perspective}, url = {https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-001540-7}, year = {2013}, abstract = {Die vorliegende Dissertation untersuchte die Determinanten subjektiven Freiheitserlebens in Entscheidungen und legte den Schwerpunkt auf die Frage, ob es Divergenzen zwischen dem Freiheitserleben und einer theoretisch begr{\"u}ndbaren Entscheidungsfreiheit gibt. Um die Entscheidungsfreiheit theoretisch zu fundieren wurde das Handlungsmodell funktionaler Freiheit konstruiert. Die Grundlage hierf{\"u}r bildete eine Vielzahl philosophischer und psychologischer Arbeiten zu den Begriffen Willensfreiheit, Entscheidungsfreiheit und Handlung. Funktionale Freiheit stellt ein kompatibilistisch und naturalistisch ausgerichtetes Konzept innerer Freiheit dar, welches eine sinnvolle und n{\"u}tzliche psychologische F{\"a}higkeit beschreibt. Funktionale Freiheit gr{\"u}ndet sich auf drei kompensatorische Dimensionen und ist maximal ausgepr{\"a}gt wenn ein Entscheider {\"u}ber sehr hohe Rationalit{\"a}t (kognitive und selbstregulatorische Kompetenzen) verf{\"u}gt, die Entscheidungssituation stark unterdeterminiert (neu/unbekannt, komplex, ohne dominante Alternativen) ist und der Prozess der Entscheidungsfindung bewusst und {\"u}berlegt (reflektiert, argumentativ, unter Einsatz mentaler Simulationen und Einsicht) verl{\"a}uft. Es l{\"a}sst sich daf{\"u}r argumentieren, dass funktionale Freiheit langfristig zu vorteilhaften Entscheidungen f{\"u}hrt, da hohe Flexibilit{\"a}t, situative Anpassungsf{\"a}higkeit, und eine besondere Ber{\"u}cksichtigung von Selbst-Bed{\"u}rfnissen und Umweltgegebenheiten vorhanden sind. Das Modell sagt au{\"s}erdem Unterschiede zwischen funktional freien und funktional unfreien, beispielsweise unbewusst getroffenen, Entscheidungen vorher. Abgrenzungsmerkmale w{\"a}ren hohe Auspr{\"a}gungen von Bedenkzeit, tiefe Elaboration der Entscheidung, Unvorhersagbarkeit der Wahl, kognitive Anstrengung, sowie Unsicherheitserleben. Die zentrale Pr{\"a}misse f{\"u}r die empirische Arbeit war, dass funktionale und erlebte Freiheit in einer Entscheidung proportional und kongruent zueinander sind. In sechs Experimenten wurden Modellhypothesen sowie Gegenhypothesen abgeleitet und getestet, wobei die Gegenhypothesen eine Divergenz von erlebter und funktionaler Freiheit annahmen. Die Manipulationen bezogen sich prim{\"a}r auf die situationale Dimension funktionaler Freiheit. Das auf die Entscheidung bezogene subjektive Freiheitserleben bildete die abh{\"a}ngige Variable. Die experimentellen Ergebnisse best{\"a}tigten {\"u}berwiegend die Gegenhypothesen. Weder war erh{\"o}htes Freiheitserleben mit vergr{\"o}{\"s}erter Optionszahl und Entscheidungskomplexit{\"a}t assoziiert, noch mit erh{\"o}hter Unterdetermination in Form von Entscheidungskonflikt oder zus{\"a}tzlichen Abbruchoptionen. Stattdessen ergab sich hohes Freiheitserleben durchg{\"a}ngig in Entscheidungssituationen die einfach waren, {\"u}ber eine dominante Option verf{\"u}gten, positive Konsequenzen besa{\"s}en oder in Aussicht stellten, sowie mit verringerter Schwierigkeit und Unsicherheit und erh{\"o}htem positiven Affekt assoziiert waren. Folglich lie{\"s} sich eine bedeutsame Divergenz zwischen dem theoretisch entwickelten Konstrukt funktionaler Freiheit und dem Freiheitserleben erkennen. Um trotz der Abweichung vom Modell das subjektive Freiheitserleben erkl{\"a}ren zu k{\"o}nnen, wurde auf Basis der Resultate eine Erkl{\"a}rung mit Bezug zum Erwartungskonzept entwickelt. Demnach ist das Freiheitserleben in einer Handlungsepisode umso gr{\"o}{\"s}er ausgepr{\"a}gt, je h{\"o}her die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit einer positiven Zielerreichung ist. Folglich wird erlebte Freiheit durch alle Faktoren einer Entscheidung beeinflusst, die die Handlungs-Ergebnis-Erwartung und die Kompetenzerwartung verringern oder erh{\"o}hen. Handlungsbezogenes Freiheitserleben kann daher als eine Form von Zuversicht aufgefasst werden. Die Resultate der Experimente sind mit dieser Erkl{\"a}rung gut zu vereinbaren. Die theoretischen und empirischen Erkenntnisse dieser Arbeit erlauben mehrere bedeutsame Schlussfolgerungen. Erstens, kann das Freiheitserleben bei strenger Betrachtung nicht mehr als Argument f{\"u}r eine Existenz des freien Willens herangezogen werden. Zweitens, bietet das Konzept der funktionalen Freiheit eine naturalistische Alternative zur klassischen Willensfreiheit. Es ist gut vereinbar mit den kompatibilistischen Ans{\"a}tzen vieler Autoren, im Rahmen psychologisch-deterministischer Mechanismen konzeptualisiert und pr{\"u}fbar. Doch kann das Freiheitserleben auch f{\"u}r funktionale Freiheit nicht als manifester Indikator gelten. Drittens, scheint deshalb bez{\"u}glich des handlungsbezogenen Freiheitsbegriffs ein grunds{\"a}tzliches Missverst{\"a}ndnis zwischen theoretischen Konzeptionen akademischer Autoren und der alltagspsychologischen sozialen Repr{\"a}sentation von Freiheit vorzuliegen. Dies tr{\"a}gt zur ohnehin gro{\"s}en Konfusion um die Bedeutung von „Freiheit“ bei. Ein am Erleben orientierter Freiheitsbegriff bezieht sich vorrangig auf positive Zielerreichung. Das Streben nach solcherart Freiheit ist mit vielen kurzfristig positiven Konsequenzen verbunden. Es l{\"a}sst jedoch die langfristigen Vorteile der funktionalen Freiheit vermissen, wie erhebliche Flexibilit{\"a}t und Anpassungsf{\"a}higkeit, sowie eine h{\"o}here Bef{\"a}higung zu ethischem Handeln. Zuk{\"u}nftige Studien sollten pr{\"u}fen, ob die Divergenz auch au{\"s}erhalb von Laborsituationen zu finden ist und ob ein funktionales Freiheitserleben erlernt werden kann.}, language = {de} }