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Bitte verwenden Sie diesen Link, wenn Sie dieses Dokument zitieren oder verlinken wollen: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-001540-7

Zur Divergenz von gegebener und erlebter Freiheit in Entscheidungen – ein psychologischer Beitrag zur Erklärung menschlichen Freiheitserlebens

  • Die vorliegende Dissertation untersuchte die Determinanten subjektiven Freiheitserlebens in Entscheidungen und legte den Schwerpunkt auf die Frage, ob es Divergenzen zwischen dem Freiheitserleben und einer theoretisch begründbaren Entscheidungsfreiheit gibt. Um die Entscheidungsfreiheit theoretisch zu fundieren wurde das Handlungsmodell funktionaler Freiheit konstruiert. Die Grundlage hierfür bildete eine Vielzahl philosophischer und psychologischer Arbeiten zu den Begriffen Willensfreiheit, Entscheidungsfreiheit und Handlung. Funktionale Freiheit stellt ein kompatibilistisch und naturalistisch ausgerichtetes Konzept innerer Freiheit dar, welches eine sinnvolle und nützliche psychologische Fähigkeit beschreibt. Funktionale Freiheit gründet sich auf drei kompensatorische Dimensionen und ist maximal ausgeprägt wenn ein Entscheider über sehr hohe Rationalität (kognitive und selbstregulatorische Kompetenzen) verfügt, die Entscheidungssituation stark unterdeterminiert (neu/unbekannt, komplex, ohne dominante Alternativen) ist und der Prozess der Entscheidungsfindung bewusst und überlegt (reflektiert, argumentativ, unter Einsatz mentaler Simulationen und Einsicht) verläuft. Es lässt sich dafür argumentieren, dass funktionale Freiheit langfristig zu vorteilhaften Entscheidungen führt, da hohe Flexibilität, situative Anpassungsfähigkeit, und eine besondere Berücksichtigung von Selbst-Bedürfnissen und Umweltgegebenheiten vorhanden sind. Das Modell sagt außerdem Unterschiede zwischen funktional freien und funktional unfreien, beispielsweise unbewusst getroffenen, Entscheidungen vorher. Abgrenzungsmerkmale wären hohe Ausprägungen von Bedenkzeit, tiefe Elaboration der Entscheidung, Unvorhersagbarkeit der Wahl, kognitive Anstrengung, sowie Unsicherheitserleben. Die zentrale Prämisse für die empirische Arbeit war, dass funktionale und erlebte Freiheit in einer Entscheidung proportional und kongruent zueinander sind. In sechs Experimenten wurden Modellhypothesen sowie Gegenhypothesen abgeleitet und getestet, wobei die Gegenhypothesen eine Divergenz von erlebter und funktionaler Freiheit annahmen. Die Manipulationen bezogen sich primär auf die situationale Dimension funktionaler Freiheit. Das auf die Entscheidung bezogene subjektive Freiheitserleben bildete die abhängige Variable. Die experimentellen Ergebnisse bestätigten überwiegend die Gegenhypothesen. Weder war erhöhtes Freiheitserleben mit vergrößerter Optionszahl und Entscheidungskomplexität assoziiert, noch mit erhöhter Unterdetermination in Form von Entscheidungskonflikt oder zusätzlichen Abbruchoptionen. Stattdessen ergab sich hohes Freiheitserleben durchgängig in Entscheidungssituationen die einfach waren, über eine dominante Option verfügten, positive Konsequenzen besaßen oder in Aussicht stellten, sowie mit verringerter Schwierigkeit und Unsicherheit und erhöhtem positiven Affekt assoziiert waren. Folglich ließ sich eine bedeutsame Divergenz zwischen dem theoretisch entwickelten Konstrukt funktionaler Freiheit und dem Freiheitserleben erkennen. Um trotz der Abweichung vom Modell das subjektive Freiheitserleben erklären zu können, wurde auf Basis der Resultate eine Erklärung mit Bezug zum Erwartungskonzept entwickelt. Demnach ist das Freiheitserleben in einer Handlungsepisode umso größer ausgeprägt, je höher die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit einer positiven Zielerreichung ist. Folglich wird erlebte Freiheit durch alle Faktoren einer Entscheidung beeinflusst, die die Handlungs-Ergebnis-Erwartung und die Kompetenzerwartung verringern oder erhöhen. Handlungsbezogenes Freiheitserleben kann daher als eine Form von Zuversicht aufgefasst werden. Die Resultate der Experimente sind mit dieser Erklärung gut zu vereinbaren. Die theoretischen und empirischen Erkenntnisse dieser Arbeit erlauben mehrere bedeutsame Schlussfolgerungen. Erstens, kann das Freiheitserleben bei strenger Betrachtung nicht mehr als Argument für eine Existenz des freien Willens herangezogen werden. Zweitens, bietet das Konzept der funktionalen Freiheit eine naturalistische Alternative zur klassischen Willensfreiheit. Es ist gut vereinbar mit den kompatibilistischen Ansätzen vieler Autoren, im Rahmen psychologisch-deterministischer Mechanismen konzeptualisiert und prüfbar. Doch kann das Freiheitserleben auch für funktionale Freiheit nicht als manifester Indikator gelten. Drittens, scheint deshalb bezüglich des handlungsbezogenen Freiheitsbegriffs ein grundsätzliches Missverständnis zwischen theoretischen Konzeptionen akademischer Autoren und der alltagspsychologischen sozialen Repräsentation von Freiheit vorzuliegen. Dies trägt zur ohnehin großen Konfusion um die Bedeutung von „Freiheit“ bei. Ein am Erleben orientierter Freiheitsbegriff bezieht sich vorrangig auf positive Zielerreichung. Das Streben nach solcherart Freiheit ist mit vielen kurzfristig positiven Konsequenzen verbunden. Es lässt jedoch die langfristigen Vorteile der funktionalen Freiheit vermissen, wie erhebliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, sowie eine höhere Befähigung zu ethischem Handeln. Zukünftige Studien sollten prüfen, ob die Divergenz auch außerhalb von Laborsituationen zu finden ist und ob ein funktionales Freiheitserleben erlernt werden kann.
  • In my PhD thesis, I examined the determinants of subjectively experienced decision freedom and the question of whether there are differences between experienced decision freedom and decision freedom as a concept developed within a theoretical model. I sought to establish a theoretical foundation for the concept of decision freedom by developing a model of functional freedom of action on the basis of numerous works that examine the concepts of free will, freedom of decision and conscious action from philosophical and psychological perspectives. The concept of functional freedom set forth here is informed by the compatibilist and naturalist schools of thought and proposed as a term denoting an inner freedom that constitutes a meaningful and valuable psychological capacity. Functional freedom is founded on three compensatory dimensions and is greatest when the decision maker brings a high degree of rationality (cognitive and self-regulatory competence) to the process, when the situation is highly underdetermined (new/unfamiliar, complex, no dominant alternatives), and the decision-making process is undertaken consciously and deliberately (involving reflection, the weighing of arguments, mental simulations and insight). It can be argued that functional freedom leads to decisions that yield long-term benefits, since it implies a high degree of flexibility, situational adaptability, and careful consideration of the needs of the self and the given circumstances. The model also predicts that decisions made by subjects enjoying functional freedom will differ from decisions made without functional freedom – e.g. unconscious decisions – in involving a greater amount of time for deliberation and cognitive effort, a higher degree of elaboration, greater uncertainty on the part of the decision maker, and less predictable outcomes. The premise that functional freedom and subjectively experienced freedom in decision-making situations are commensurate served as the point of departure for the empirical part of my thesis. I formulated a number of hypotheses proceeding from this premise, as well as counterhypotheses based on the assumption of a fundamental difference between subjective and functional freedom. These hypotheses and counterhypotheses served as the basis for a series of six experiments. The experimental manipulations primarily affected the situational dimension of functional freedom, and the degree of subjectively experienced freedom in relation to the decision constituted the dependent variable. The initial premise that functional and subjective freedom largely correspond was not confirmed by the results obtained in the experiments, which chiefly support the counterhypotheses. A higher degree of subjectively experienced freedom was neither associated with greater decision complexity and number of options, nor with greater underdetermination in the form of decisional conflict or the possibility to opt out of the decision altogether. Instead, a high degree of subjective freedom was consistently experienced in decision situations that were simple, where there was a dominant option, that either had or held out the prospect of a positive outcome, and that were associated with a lesser degree of difficulty and uncertainty and with increased positive affect. Thus it was possible to discern an important difference between the theoretically-based concept of functional freedom and the subjective experience of freedom. In order to explain the subjective experience of freedom despite the departure from the initial model, I developed a model based on the empirical results that takes the additional factor of expectations into account. According to this model, the higher the subjective probability of positive goal attainment, the greater the degree of freedom subjectively experienced in a given decision situation. Thus the experience of freedom is influenced by all factors involved in a decision that diminish or increase the subject’s expectations of competence and the action-outcome-expectancy. Subjectively experienced freedom of action in a given situation can thus be regarded as a form of confidence. This interpretation is consistent with the results obtained in my experiments. We can draw several important conclusions based on the theoretical and empirical results outlined above. First, strictly speaking, the subjective experience of freedom can no longer be cited as an argument for the existence of free will. Second, the concept of functional freedom offers a naturalistic alternative to the classic concept of free will. It fits in well with the compatibilist line of argument taken by many authors and can be conceptualized and examined within the framework of deterministic psychological mechanisms. But the subjective experience of freedom cannot be regarded as a manifest indicator of functional freedom, either. Thus – and this brings me to my third conclusion – it seems that the theoretical concepts of action-related “freedom” found in academic literature and the concept of “freedom” in the sense of the folk-psychological term generally used in society are in reality two different things, a fundamental misunderstanding that only contributes to the considerable existing confusion as to what “freedom” actually means. A concept of freedom based on subjective experience is primarily concerned with positive goal attainment. Those seeking this kind of freedom reap many short-term rewards, but they miss out on the long-term benefits of functional freedom such as higher flexibility and a greater capacity to adapt to changing circumstances and to act ethically. It remains for future research to show whether this difference is also found in situations outside the laboratory and whether experiencing functional freedom is something that can be learned.

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Metadaten
Author: Stephan Lau
URN:urn:nbn:de:gbv:9-001540-7
Title Additional (English):The Difference Between Actual and Experienced Freedom in Decisions – An Attempt to Explain the Experience of Freedom from a Psychological Perspective
Advisor:Dr. Anette Hiemisch
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2013/06/20
Granting Institution:Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (bis 31.05.2018)
Date of final exam:2013/01/11
Release Date:2013/06/20
Tag:Handlungsmodell; experimentell; funktional; naturalistisch
GND Keyword:Willensfreiheit, Erleben, Entscheidung
Faculties:Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät / Institut für Psychologie
DDC class:100 Philosophie und Psychologie / 150 Psychologie