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Das Interesse an stomatologischen und oralpathologischen Fragestellungen ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die Diagnostik, Therapie und Prävention von Mundschleimhautveränderungen wird auf aktuellen Kongressen (18. Berliner Zahnärztetag 2004; 11. Europäisches Sommersymposium 2004, Usedom- Heringsdorf; 13. Zahnärztetag 2004, Rostock- Warnemünde) immer wieder thematisiert. Nicht zuletzt beruht dies auf den Beobachtungen von zunehmenden Mundschleimhautveränderungen bei AIDS und immunpathologischen Erkrankungen sowie im Verlauf einer immunsupressiven und zytostatischen Therapie, weshalb inzwischen für eigentlich alle medizinischen Fachrichtungen eine profunde Kenntnis über krankhafte Veränderungen der Mundschleimhaut erwartet wird. Bei der Untersuchung der Mundhöhle und ihrer Umgebung lassen sich nicht selten Befunde erheben, die die allgemeine Diagnosefindung erleichtern oder eine Verdachtsdiagnose erhärten können. Bei Mundschleimhautveränderungen muss es sich nicht zwangsläufig um Krankheiten handeln, die ausschließlich in der Mundhöhle manifestiert sind. Es kann sich ebenso um vielfältige aufschlussreiche Begleitsymptome von Allgemeinerkrankungen, inneren Erkrankungen und Hautkrankheiten handeln (Bork et al 1993). In der bevölkerungsorientierten Gesundheitsstudie „SHIP 0 - Study of Health in Pomerania” wurden in dem Zeitraum vom September 1997 bis Dezember 2001 insgesamt 4233 Probanden im Alter von 20 bis 81 Jahren (zahn-) medizinisch umfassend untersucht und zu ihrem Gesundheitsverhalten, subjektivem Befinden sowie zu soziodemografischen Parametern interviewt. Inhalt der Untersuchungen war auch die Begutachtung der Mundschleimhaut und Diagnostik von Mundschleimhautveränderungen. Die Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen liegt bei den 2117 Männern und 2116 Frauen bei 11,83%. Insgesamt konnten bei 498 Probanden 1103 Einzelbefunde diagnostiziert werden. Die Häufigkeit von Mundschleimhautveränderungen ist altersabhängig und nimmt mit zunehmendem Alter kontinuierlich zu. Exophytische Neubildungen (2,99%) sind neben den weiteren Veränderungen (2,88%) und Leukoplakia simplex (2,85%) die in dieser Studie am meisten diagnostizierten Veränderungen. Präkanzeröse Veränderungen haben eine Prävalenz von 0,57%. Wangenschleimhaut und Alveolarfortsatz in Ober- und Unterkiefer sind die bevorzugten Lokalisationen von Mundschleimhautveränderungen. Die topografische Verteilung der untersuchten Gruppen von Mundschleimhautveränderungen stimmen in der Regel mit den in der Literatur aufgeführten Prädilektionsstellen überein. Leukoplakia simplex findet sich hauptsächlich an der Wangenschleimhaut und auf den Alveolarkämmen, exophytische Neubildungen ebenfalls an der Wangenschleimhaut und zusätzlich im Bereich des harten Gaumens und herpetiforme, aphtöse Veränderungen erwartungsgemäß an Lippenrot und Lippenschleimhaut. Bevorzugte Lokalisation für präkanzeröse Veränderungen ist die Wangenschleimhaut, gefolgt von der Umschlagfalte im Unterkiefer. Die regionale Basisstudie SHIP 0 konnte den negativen Einfluss der Risikofaktoren „Rauchen“ und „Alkohol“ an einer unselektierten Probandenpopulation nachweisen und die synergistische Wirkung beider Noxen zeigen. Außerdem wurde festgestellt, dass Probanden, die entweder an Diabetes mellitus erkrankt sind oder aus niedrigeren sozialen Schichten stammen, eine höhere Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen aufweisen als die anderen Kontrollgruppen. Bei Rauchern scheint die Quantität des Tabakkonsums eine entscheidende Rolle zu spielen. Schwache Raucher haben allgemein eine erhöhte Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen im Vergleich zu Nichtrauchern. Hinsichtlich der Verteilung von Mundschleimhautveränderungen fällt auf, dass bei Rauchern im allgemeinen häufiger Leukoplakien gefunden wurden. Die Prävalenz für präkanzeröse Veränderungen steigt mit zunehmendem Tabakkonsum an. Die Prävalenz und Verteilung von Mundschleimhautveränderungen im Vergleich von Rauchern und Nichtrauchern weist auf die Wirkungen des Rauchens auf die orale Mundschleimhaut hin. Während der Konsum von Alkohol als alleiniger Risikofaktor in dieser Studie keinen entscheidenden Einfluss auf die Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen hat, unterstreicht die hohe Prävalenz bei starken Rauchern und bei hohem Alkoholkonsum die in der Literatur erwähnte synergistische Wirkung von Tabak und Alkohol. In der aktuellen Studie zeigen Probanden, die an einer Form von Diabetes mellitus erkrankt sind, mit 20,19% eine fast doppelt so hohe Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen wie gesunde Probanden. Besonders Leukoplakia simplex, exophytische Neubildungen und weiteren Veränderungen sind in dieser speziellen Probandengruppe auffällig häufig diagnostiziert worden. Nicht eindeutig geklärt ist bislang, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der bei Diabetes mellitus auftretenden Xerostomie sowie der erhöhten Anfälligkeit für Kandidosen und der Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen. Die Zunahme der Anzahl von Mundschleimhautveränderungen mit sinkendem sozialen Status kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass die in einen sozialen Schichtindex einfließenden Faktoren „Schulbildung“, „berufliche Stellung“ und „Nettohaushaltsein-kommen“ Einfluss auf das Gesundheitsverhalten der Probanden und damit indirekt auf die Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen haben. Die Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig die Früherkennung von Mundschleimhaut-veränderungen im Rahmen der routinemäßigen Kontrolluntersuchungen in der zahnärztlichen Praxis ist. Angesichts der demografischen Entwicklung, der Zunahme des Anteils älterer und alter Menschen in den modernen Industriegesellschaften von 23,1% (in 2000) kontinuierlich auf rund 33,9% (in 2040) (Sommer 1994), ist bezüglich der Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen ein Ansteigen dieser Erkrankungsform zu erwarten. Mundschleimhauterkrankungen sind als Zielerkrankungen bei der therapiebegleitenden Prävention bei Erwachsenen im Ruhezustand (65 Jahre und älter) aufzunehmen. Eine Zunahme des Zigarettenverbrauchs in Deutschland in den vergangenen sieben Jahren um 9% bzw. bei Zigarren und Zigarillos in dem gleichen Zeitraum um 121% (Reichart 2002) sowie der hohe Konsum von Tabak besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterstreichen, wie wichtig die Aufklärung des Zahnarztes als Teil der Prophylaxetätigkeit im Hinblick auf das Risikopotential für die Entstehung oraler Schleimhautveränderungen ist. Die in der aktuellen Studie zunehmende Prävalenz von Mundschleimhautveränderungen bei Probanden aus niedrigeren sozialen Schichten der Gesellschaft weisen auf die Zusammenhänge zwischen dem Problemkomplex von Befund und Verhalten hin. Probanden mit höherem Schulstatus zeigen signifikant häufiger ein kontrollorientiertes Verhalten, während Probanden ohne Ausbildungsabschluss deutlich beschwerdeorientiert sind (Heinrich und Törne 1997). Dieses Ergebnis weist auf die Notwendigkeit hin, dass auch nichtmedizinische, soziodemografische Gesichtspunkte als Risikofaktoren nicht unterschätzt und bei der Routineuntersuchung von Patienten nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Damit der niedergelassene Zahnarzt diesen neuen Aufgaben gewachsen ist, sollte die Aus- und Fortbildung der Zahnärzte hinsichtlich der Früherkennung von Mundschleimhautveränderungen im Sinne eines Screenings verstärkt werden. Neue, sanfte Diagnoseverfahren wie die Brush- Biopsie, die aktuell in der Fachliteratur diskutiert wird (Becker 2004; Sciubba 1999), vereinfachen die Diagnostik für Tumoren der Mundschleimhaut. Sicherlich lassen sich die Ergebnisse der SHIP 0 nicht uneingeschränkt generalisieren. Sie spiegeln in erster Hinsicht die aktuelle Situation der Bevölkerung der Landkreise Nord- und Ostvorpommern mit den Hansestädten Stralsund und Greifswald wieder. Für die in diesen Kreisen niedergelassenen Zahnärzte kann diese Studie durchaus als Orientierung bei der Vorbeugung und Erkennung von Mundschleimhautveränderungen gesehen werden. Die Resultate bilden aber auch die Basis für weitere Forschungen z.B. in Form von Fall- Kontroll- Studien oder Follow- Up- Studien.