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Hintergrund und Fragestellung
Die klinische Befunddokumentation in der Notaufnahme dient primär diagnostisch-therapeutischen Zwecken und ist für weitere forensische Fragestellungen häufig nur eingeschränkt verwertbar. Für die Untersuchung von Gewaltopfern ist ein hoher medizinischer, aber besonders gerichtsverwertbarer Standard zu fordern. Denn die Behandlungsunterlagen können als Beweismittel im Strafverfahren herangezogen werden.
Die Studie hatte zum Ziel, das Opferkollektiv und die Qualität der forensisch relevanten Befunddokumentation am Beispiel der unfallchirurgischen Gewaltambulanz retrospektiv zu analysieren und Optimierungsvorschläge für eine effiziente, zielgerichtete und umfassende Dokumentation zu liefern.
Material und Methoden
Eingeschlossen wurden alle Patienten, die zwischen Juni 2010 und Juni 2014 in der unfallchirurgischen Notaufnahme der Universitätsmedizin Greifswald aufgrund von Rohheitsdelikten behandelt wurden. Für eine deskriptive Übersichtsanalyse des Gesamtkollektivs wurden retrospektiv demographische Daten, Angaben zu Entstehung und Art der Gewalt sowie zu Verletzungscharakteristika ausgewertet.
Auf Grundlage von Literaturrecherche und Expertenmeinung wurde ein Kriterienkatalog entwickelt. Dieser fasst alle zur rechtsmedizinisch – forensischen Beurteilung relevanten Aspekte der Dokumentation in fünf Kategorien zusammen. Dieser Katalog diente in Kombination mit einem Expertenfragebogen der Statuserhebung der Dokumentationsqualität. Ein nach vorhandener Fotodokumentation vorselektiertes Studienkollektiv wurde anhand dieser beiden Instrumente und mittels schriftlicher Befragung von Rechtsmedizinern und Unfallchirurgen evaluiert. Der Fragebogen diente dem Zweck der Erhebung eines Meinungsbildes und zum interdisziplinären Vergleich. Um objektive Unterschiede hinsichtlich der Qualität aufzeigen zu können, wurden die Fragebogen-Aussagen der Kliniker anhand eines mathematischen Algorithmus in den Kriterienkatalog umgewandelt.
Ergebnisse
Das Gesamtkollektiv umfasste 572 Patientenfälle. Die demographische Analyse ergab, dass vorwiegend junge Männer nach Übergriffen durch Fremde oder Freunde bzw. Bekannte die unfallchirurgische Notaufnahme aufsuchten. Dies geschah besonders am Wochenende bzw. außerhalb der regulären Arbeitszeit. Dabei standen die Betroffenen oftmals unter Alkoholeinfluss und waren im Vergleich zu Frauen signifikant häufiger wiederholt Opfer fremder Gewalt. Der häufigste Verletzungsmechanismus war der Faustschlag. Die verletzten Frauen litten zumeist unter den Folgen stumpfer Gewalteinwirkung (Hämatome) im Kopf-Halsbereich, die auffallend häufiger als bei Männern im häuslichen Rahmen entstanden. Frauen suchten zudem erst deutlich verzögert medizinische Hilfe auf.
Das Studienkollektiv umfasste 100 Fälle mit vorhandener Fotodokumentation. Die Rücklaufquote aller Beurteilungen (Kriterienkatalog, Experten-/Fragebogen) betrug 100 %. Bei Betrachtung der tatsächlichen Gerichtsverwertbarkeit zeigte sich, dass 55 % der Dokumentationen in ihrer Qualität nach Auffassung der Rechtsmediziner ausreichend waren. Relevanten Einfluss auf die Gerichtsverwertbarkeit hatten überwiegend die Kategorien Verletzungscharakteristika, Fotodokumentation und besonders rechtsmedizinisch relevante Aspekte. Bei diesen Kategorien traten deutliche Qualitätsdefizite für die nicht-gerichtsverwertbaren Fälle auf. Ein kumulativer Punktegrenzwert für die Gerichtsverwertbarkeit für diese fünf Kriterien konnte nicht ermittelt werden. Es zeigte sich eine große Streubreite aller Ergebnisse, die zum Teil auf die Heterogenität der Studienfälle zurückzuführen ist. Interdisziplinäre Unterschiede in der Einschätzung der Dokumentationsqualität wurden insbesondere bei charakteristischen bzw. rechtsmedizinisch relevanten Aspekten deutlich. Der Ausbildungsstand stellte sich als relevanter Faktor für die intradisziplinäre Beurteilung heraus.
Schlussfolgerungen
Die Dokumentationsqualität von Gewaltopfern, wie sie aktuell unfallchirurgisch durchgeführt wird, wird dem Anspruch des Patienten auf eventuelle Gerichtsverwertbarkeit beispielsweise im Strafverfahren nicht ausreichend gerecht. Wesentlichen Einfluss haben grundlegende Dokumentationsaspekte und spezielle, durch die Rechtsmedizin schulbare Charakteristika. Für die praktische Umsetzung einer suffizienten Qualität bedarf es Neuerungen bzw. Optimierungen im effektiven Dokumentationsablauf und – umfang. Bewusstsein zu schaffen für diese Thematik als wesentlicher Aspekt des unfallchirurgischen Berufsalltags ist insbesondere vor dem Hintergrund von unzureichender Datenlage und einer erwarteten hohen Dunkelziffer häuslicher Gewalt unabdingbar.
Diskussion
Eine Begutachtung durch Richter und Hinzunahme der entsprechenden Arztbriefe sowie weiteren klinischen Informationen stellen eine Option für eine umfassendere Begutachtung der Dokumentationsqualität dar. Perspektivisch sind Investitionen in Digitalisierungskonzepte eine anzustrebende Lösung der vorhandenen ökonomischen (zeitlich, personell, finanziell) und individuell-juristischen (unzureichend gerichtsverwertbare Dokumentationsqualität) sowie präventiven (Dunkelziffer von Gewaltopfern) Problemfelder.