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In einer Welt durchsetzt mit Gerüchen, haben marine Tiere hochentwickelte chemosensorische Systeme entwickelt um den vielfältigen Anforderungen des Lebens und Überlebens gerecht zu werden. Nahrungserwerb, Kommunikation, das Erkennen von Räubern oder potentieller Partner sind in diesem Kontext nur als Rahmen zu nennen. Durch eine Vielzahl an Sensillen, sowie durch spezifische, olfaktorisch geführte Verhaltensweisen, wie dem antennal flicking oder Stimulus-gerichteter Navigation, zeigen viele Vertreter der Malacostraca ein hohes Maß an Präzision und Genauigkeit in der Differenzierung und Lokalisierung von Düften. Die Mehrzahl der detaillierten morphologischen und ethologischen Studien konzentrierte sich bislang jedoch auf decapode Crustaceen. Das außer Acht lassen kleinerer Spezies abseits der klassischen Modellorganismen führte daher zu einer gewissen Einseitigkeit unseres Verständnisses der chemosensorischen Pfade und Nahrungssuchstrategien. Während einige der terrestrischen Asseln (Oniscidea) schon gelegentlich als Vorlage für Studien dienten um die chemosensorischen Pfade in puncto Morphologie, Physiologie und Verhalten zu untersuchen, beruht unser Verständnis der chemischen Ökologie mariner Isopoden lediglich auf vereinzelten Beobachtungen und Annahmen. In der vorliegenden Arbeit sollen verschiedene Aspekte der Morphologie und Phänomenologie der Chemorezeption der baltischen Riesenassel Saduria entomon (Valvifera) LINNAEUS 1758 berücksichtigt werden. Abschließend soll anhand der vorgelegten Ergebnisse ein Rahmen entworfen werden, in welchem die Terrestrialisierung der Oniscidea neu betrachtet werden muss. Gestützt durch 3D Rekonstruktionen, konventionelle Lichtmikroskopie sowie konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie, wurden die generelle Anatomie des Gehirns, sowie das neuronale Substrat der chemosensorischen Pfade untersucht. Während es innerhalb der terrestrischen Isopoden zu einer drastischen Größenreduktion ihrer ersten Antenne und allen mit dieser assoziierten Gehirnareale kam, besitzt S. entomon ein olfaktorisches System, das in Bezug auf die antennale und neuronale Morphologie noch sehr grundmusternah aufgebaut ist. Im Vergleich mit den Decapoda zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede in der strukturellen Diversität und dem Umfang von Nervengewebe das in der Verarbeitung chemischer Informationen beteiligt ist. Gleich ihren terrestrischen Verwandten zeigt S. entomon zudem einige Besonderheiten, die die sensorischen Pfade der zweiten Antenne betreffen. Die mikroglomeruläre Organisation des assoziierten Neuropils deutet auf eine zunehmende Bedeutung dieses Anhangs in der Wahrnehmung und Verarbeitung chemischer Informationen hin. Verhaltensuntersuchungen lassen jedoch Zweifel an dem olfaktorischen Potential dieser Spezies aufkommen. Mittels eines Y-Labyrinthes und einer Reihe an Düften, dem das Tier in seiner natürlichen Umgebung begegnen mag, konnte gezeigt werden, dass S. entomon einen offenkundigen Mangel an Präzision aufweist, Stimuli zu differenzieren, sowie die Quelle eines Stimulus zu lokalisieren. In lediglich vier von 15 Experimenten ließ sich eine statistisch signifikante Verhaltensantwort beobachten. In diesen konnte darüber hinaus nur ein Stimulus als attraktiv identifiziert wurde. Auf Basis von Freilandbeobachtungen, die das Tier mit einer gewissen Zufälligkeit umherwandernd darstellen, wurde ein Experiment entwickelt in welchem S. entomon in einem Mikrokosmos, und nur durch chemosensorische Sinne, einen Köder lokalisieren sollte. Obwohl es zwischen Kontrolle und Stimulusexperimenten deutliche Unterschiede in den aufgenommenen Bewegungsparametern gab, war kein von anderen Malacostraca oder Hexapoda bekanntes Suchmuster zu identifizieren. Eine statistische Auswertung der durch das Tier zurückgelegten Pfade ergab jedoch, dass die Tiere sich einer chemotaktischen Orientierung bedienten. Diese scheint zudem einer positiven rheotaktischen Bewegung überlagert. Um die Bedeutung der chemosensorischen Anhänge für eine erfolgreiche Nahrungssuche zu verdeutlichen, wurden chemische Ablationen der ersten und zweiten Antennen durchgeführt. Einige wenige Tiere waren zwar noch in der Lage den Köder zu lokalisieren, die Deaktivierung der Antennen führte aber zu einer beinahe vollständigen Unfähigkeit den Stimulus ausfindig zu machen. Eine Pfadanalyse konnte daher Chemotaxie als elementaren Orientierungsmechanismus ausschließen. Statt dieser wurde Chemokinesie mit einer ausgeprägten positiven rheotaktischen Komponente identifiziert. Darüber hinaus demonstriert dieses Experiment die Abhängigkeit S. entomon‘s von der komplexen Interaktion der Distanz- und Kontaktchemorezeptoren für einen effizienten Suchlauf. Bislang wurde davon ausgegangen, dass terrestrische Isopoden es nicht geschafft haben ihr olfaktorisches System derart anzupassen, dass es in Luft anstatt von Wasser operiert. Um der Notwendigkeit eines chemosensorischen Systems gerecht zu werden, entwickelte sich daher de novo ein System, in welchem die zweite Antenne sowie ihr neuronales Substrat entsprechend transformiert wurden. Das Vorhandensein eines gleichartig organisierten Systems in einem relativ nah verwandten marinen Vertreter deutet jedoch darauf hin, dass die Tendenz zu dieser Funktionstransformation der zweiten Antenne bereits im letzten gemeinsamen Vorfahren vorhanden war und somit der Kolonisation des Landes durch die Asseln vorausging. Die zweite Antenne als der maßgebliche chemosensorische Anhang der Oniscidea kann daher als Präadaptation verstanden werden, welche im Laufe ihrer Terrestrialisierung eine antennulare Olfaktion zweitrangig, wenn nicht sogar obsolet machte.