Doctoral Thesis
Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, wie sich die Mundgesundheit und der zahnmedizinische Therapiebedarf in Deutschland entwickeln werden. In der Arbeit wurden Projektionen zur Entwicklung der MorbiditĂ€t, der Mundgesundheit und dem Therapiebedarf auf Grundlage der reprĂ€sentativen Daten aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien III (1997) und IV (2005), den epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe durch die DAJ (2004-2009), den JahrbĂŒchern der KZBV (2003-2010), den Zahlenberichten der PKV (2006-2011) sowie den Prognosen der Bevölkerungsentwicklung vom Bundesamt fĂŒr Statistik [2006] vorgenommen. Die Auswertung der Resultate hat ergeben, dass der Trend zur Verbesserung der Mundgesundheit in den nĂ€chsten 20 Jahren weiter durch alle Bevölkerungsschichten voranschreiten wird. Am stĂ€rksten wird sich die Verbesserung der Mundgesundheit bei Kindern und Jugendlichen (0,3 DMFT bei 12-JĂ€hrigen im Jahr 2030) und am schwĂ€chsten bei der Risikogruppe der Senioren (22 DMFT) zeigen. Die Anzahl der fehlenden ZĂ€hne wird bei Erwachsenen und Senioren stark zurĂŒckgehen, besonders in der Basisgruppe der Senioren von 14,1 MT (1997) auf 3,1 (2030). Die Anzahl der gefĂŒllten ZĂ€hne wird im Durchschnitt zumeist konstant bleiben. WĂ€hrend Kinder und vor allem die Basisgruppe der Erwachsenen mit 12,3 FT (1997) auf 10,1 (2030) eine Reduktion von FĂŒllungen erleben werden, wird in der Risikogruppe der Erwachsenen und bei Senioren mit deutlich mehr FĂŒllungen gerechnet, insbesondere da hier auch mehr ZĂ€hne in Zukunft vorhanden sein werden. Die Verbesserung der Mundgesundheit kann insgesamt zu einem RĂŒckgang des Prothetikbedarfs und zugleich zu einer Verschiebung vom herausnehmbaren zum festsitzenden Zahnersatz fĂŒhren.
Wie Menschen ihre Mundgesundheit wahrnehmen ist fĂŒr die zahnĂ€rztliche Versorgung von groĂer Bedeutung. Besonders die SelbsteinschĂ€tzung der Mundgesundheit bestimmt darĂŒber, ob Individuen zahnmedizinische Probleme erkennen und PrĂ€ventionsmöglichkeiten und Therapien in Anspruch nehmen. Um ein umfassendes Bild zur SelbsteinschĂ€tzung der Mundgesundheit in Deutschland zu ermitteln, wurden die Deutschen Mundgesundheitsstudien aus den Jahren 1997 (DMS III) und 2005 (DMS IV) herangezogen und die beiden Altersgruppen der 35-44-jĂ€hrigen Erwachsenen und der 65-74-jĂ€hrigen Senioren untersucht. Die SelbsteinschĂ€tzung wurde mit der Frage âWenn sie an ihre ZĂ€hne denken, wie ist der Zustand ihrer ZĂ€hne?â erfasst. Die Ergebnisse wurden mit den folgenden klinisch ermittelten Variablen assoziiert: die Anzahl kariöser, fehlender und gefĂŒllter ZĂ€hne, der Anteil der FlĂ€chen mit Blutung, der mittlere Attachmentverlust (AV) und die mittlere Sondierungstiefe (ST), der Anteil der FlĂ€chen mit AV und ST â„4mm sowie das Vorhandensein und Fehlen von festsitzendem und herausnehmbarem Zahnersatz. Ein GroĂteil der klinischen Variablen war signifikant mit der SelbsteinschĂ€tzung der Mundgesundheit assoziiert. Die Variable Anzahl fehlender ZĂ€hne zeigte den stĂ€rksten Einfluss auf die SelbsteinschĂ€tzung. Dies lieĂ die Schlussfolgerung zu, dass Individuen durchaus in der Lage sind, ihre Mundgesundheit wahrzunehmen. Insgesamt lag jedoch auch eine sehr positive SelbsteinschĂ€tzung der Mundgesundheit vor. Besonders hervorzuheben ist, dass mehr als die HĂ€lfte der Probanden ihren Mundgesundheitszustand besser einschĂ€tzte als dies ihr tatsĂ€chlicher klinischer Zustand aufwies. Die Ergebnisse zeigen, dass die Motivation zur PrĂ€vention oraler Erkrankungen weiter gefördert und das Wissen um diese Erkrankungen weiter ausgebaut werden sollten. Aspekte der subjektiven EinschĂ€tzung der Mundgesundheit und individuell wahrgenommene BedĂŒrfnisse sollten dabei berĂŒcksichtigt werden.
Mit Etablierung der Public-Health-Forschung in Deutschland und dem zahnmedizinischen Ableger âDental Public Healthâ ist das Interesse nach deutschlandweiten PrĂ€valenzen zum Thema âMundgesundheitâ gestiegen. Die multifaktorielle und multikausale Betrachtung der einzelnen oralen Krankheitsbilder aber auch die möglichen Assoziationen zu Allgemeinerkrankungen, wie z.B. Diabetes, werden in der aktuellen Literatur immer stĂ€rker hervorgehoben. Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Mundgesundheit in Deutschland anhand von aktuellen PrĂ€valenzen der einzelnen oralen Krankheitsbilder, wie Kronen- bzw. Wurzelkaries, Parodontopathien und Zahnverlust exemplarisch fĂŒr die Erwachsenen- und Seniorenkohorte deskriptiv darzustellen. Als Grundlage dienten die epidemiologischen bevölkerungsreprĂ€sentativen Mundgesundheitsstudien (DMS I bis IV), diese werden mit der regionalen SHIP-Studie (SHIP-0 und 1) des Community-Medicine-Forschungsverbundes der UniversitĂ€t Greifswald in einen Kontext gestellt. Der durch die Querschnittsstudien DMS III (1997) und DMS IV (2005) und die Longitudinalstudien SHIP-0 (1997-2001) und SHIP-1 (2002-2006) beleuchtete Zeitraum ist vergleichbar und relativ aktuell. Die Wahl der WHO-Alterskohorten der Erwachsenen (35-44 Jahre) bzw. Senioren (65-74 Jahre), vergleichbare Befundungen bzw. Indizes und Stichprobenanzahlen bzw. Responsewerte ermöglichen eine valide EinschĂ€tzung der Mundgesundheit in Deutschland. In den IndustrielĂ€ndern erzielte man durch die Etablierung kariesprophylaktischer MaĂnahmen in den letzten zwei Jahrzehnten in allen Altersgruppen ein deutlicher RĂŒckgang der Kronenkaries. Sowohl national (DMS III und IV) als auch regional (SHIP-0 und 1) konnte dies in allen Altersgruppen bestĂ€tigt werden. Dennoch ist trotz dieser guten Erfolge eine Kariespolarisation in der Bundesrepublik Deutschland zu erkennen, d.h. nur wenige Erkrankte vereinigen den GroĂteil der kariösen ZĂ€hne auf sich. Die Erfolge in der KariesbekĂ€mpfung und verbesserte konservierende zahnmedizinische Therapien fĂŒhren vor allem bei den Senioren, aber auch bei den Erwachsenen zu geringeren Zahnverlustraten bzw. zu geringeren ProzentsĂ€tzen von totaler Zahnlosigkeit. Durch die Zunahme dieser âteeth at riskâ kam es bezĂŒglich der WurzelkariesprĂ€valenz und der ParodontitisprĂ€valenz bei den Erwachsenen zu einer Stagnation und bei den Senioren zu einer starken Zunahme. Die geschlechtsspezifische Evaluierung der einzelnen oralen Erkrankungen zeigt, dass MĂ€nner im Mittel einen geringeren Kariesbefall der Zahnkronen und geringere Zahnverlustraten, aber dadurch bedingt höhere WurzelkariesprĂ€valenzen und ParodontitisprĂ€valenzen auf sich vereinigen. Dagegen weisen Frauen einen höheren mittleren DMF-T Wert, einen höheren Zahnverlust bzw. totale Zahnlosigkeit und dadurch eine geringere AnfĂ€lligkeit fĂŒr Wurzelkaries- und Parodontalerkrankungen auf. Die Entwicklung der Mundgesundheit in den neuen und alten BundeslĂ€ndern zeigte in DMS III eine allgemein schlechtere Mundgesundheit in den neuen BundeslĂ€ndern. Erst 2005 (DMS IV)konnte eine langsame AnnĂ€herung bezĂŒglich der Mundgesundheit in den neuen und alten BundeslĂ€ndern evaluiert werden. International zeigten sich in den USA und Schweden vornehmlich durch die Betrachtung von NHANES und Hugoson, geringere Kronen- bzw. WurzelkariesprĂ€valenzen, geringere AV- und ST- Werte und geringere Zahnverlustraten. Als mundgesundheitsbezogen Risikofaktoren können neben Geschlecht, Alter und Bundeslandzugehörigkeit auch Mundhygiene- und Inanspruchnahmeverhalten und vor allem die Schulbildung und der Nikotinabusus fĂŒr beide Alterskohorten und zu beiden Studienzeitpunkten identifiziert werden. Durch den demografischen Wandel (âumkehrte Alterspyramideâ), aber auch durch die rasanten VerĂ€nderungen im Gesundheitssystem ist Deutschland in einem wichtigen Wandel begriffen, der sich auch auf die Zahnheilkunde und der damit verbundenen Mundgesundheit auswirken wird. FĂŒr die Zukunft mĂŒssen die Schwerpunkte in der zahnmedizinischen Versorgung und PrĂ€vention neu gesetzt werden, da in Deutschland zunehmend mehr Ă€ltere und alte Menschen mit speziellen BedĂŒrfnissen bezĂŒglich ihrer Mund- und Zahngesundheit leben. Bei der zahnmedizinischen Behandlung werden die zunehmende MultimorbiditĂ€t der Patienten und die Erstellung von individuelleren Risikoprofilen von zunehmender Wichtigkeit fĂŒr einen Therapieerfolg werden. FĂŒr eine weitere zukĂŒnftige Verbesserung der Mundgesundheit in Deutschland ist es wichtig, dass der Weg von der kurativen hin zur prĂ€ventiven ganzheitlichen Zahnheilkunde noch konsequenter beschritten wird. Ein ganz elementarer Aspekt ist dabei die Mit- bzw. Eigenverantwortung des Patienten, denn Mundgesundheit bezieht sich nicht nur allein auf die ZĂ€hne, sondern betrifft auch den Körper in seiner Gesamtheit. Sie hĂ€ngt erheblich vom Gesundheitsbewusstsein des Einzelnen ab.