Doctoral Thesis
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Hintergrund: Bereits 1997 untersuchte Oliveira den Gehörgang in Hinblick auf seine Veränderlichkeit. Er stellte fest, dass sich der Kanal aufgrund der anatomischen Nähe zum Condylus bei Unterkieferöffnung weitet und somit ein direkter Zusammenhang des stomatognathen Systems und der Gehörgangsmorphologie existiert. Inwiefern nicht nur die Mundöffnung, sondern auch andere funktionelle Parameter des stomatognathen Systems, wie einseitiges Kauen, die Bisslage oder die craniomandibuläre Dysfunktion Auswirkungen auf die Morphologie des Meatus acusticus externus haben, galt es mit dieser explorativen Untersuchung herauszufinden. Material und Methode: Dazu wurden 50 CMD-Patienten einer kieferorthopädischen Praxis in Hinblick auf ihre bevorzugte Mastikationsseite, Bisslage und CMD-Symptome untersucht und anschließend Abdrücke ihrer Gehörgänge genommen. Die Abdrücke wurden eingescannt und mittels zweier unterschiedlicher digitaler Messmethoden verglichen. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigten, dass entgegen der anfänglichen Vermutung kein Zusammenhang zwischen einseitigem Kauen und veränderter Morphologie des ipsilateralen Gehörgangs besteht (p > 0,3). Auch Bisslageanomalien in der vertikalen und transversalen Ebene, zeigten in der untersuchten Gruppe keine Auswirkung auf die Morphologie des Meatus. Es ist jedoch eine signifikante Differenz in den Gehörgangshöhen beider Seiten zwischen den Patientengruppen mit unterschiedlich starker Distalbissausprägung auf der Kauseite zu erkennen (p = 0,041). Desweiteren war in diesem Fall auch die kontralaterale Seite, bzw. die Höhe des Meatus acusticus externus der Nichtkauseite, bei Patienten mit 1 Prämolarenbreite Distalbiss auf der Kauseite um 3,31 mm kleiner als bei den Patienten mit einem weniger starken Distalbiss (p = 0,011). Die geometrische Morphometrie unterstützt dieses Ergebnis. So wies die Zentroidgröße der Nichtkauseite eine Differenz zwischen der Patientengruppe mit einer ¾ Prämolarenbreite Distalbiss auf der Kauseite und der Patientengruppe mit einer ganzen Prämolarenbreite Distalbiss auf der Kauseite auf (p = 0,048). Die craniomandibuläre Dysfunktion stellte ebenfalls statistisch signifikante Zusammenhänge mit der Morphologie der Gehörgänge dar. So waren die Gehörgangsbreiten auf der Kauseite (p = 0,013) und auf der Nichtkauseite (p = 0,028) bei Vorhandensein von Knack- und Reibegeräuschen auf der Nichtkauseite nachweislich weniger breit, als die Gehörgänge der Patienten ohne entsprechende CMD-Symptome. Ähnliches galt für Schmerzen in der auriculocondylären Region. Hier war die Gehörgangshöhe der Nichtkauseite bei Vorhandensein von Ohr- und Kiefergelenkschmerzen auf der Nichtkauseite signifikant kleiner als die Gehörgangshöhe bei Schmerzabwesenheit (p=0,034), was sich durch die geometrische Morphometrie bestätigen ließ. Auffällig war, dass lediglich CMD-Beschwerden der Nichtkauseite im Zusammenhang mit einer veränderten Meatusmorphologie stehen, was möglicherweise einer zu geringen Probandenanzahl zuzuschreiben ist. Es muss bedacht werden, dass es sich hier um eine explorative Pilotstudie handelt und kleinere Einschränkungen aufgrund des eher hypothesenbildenden Charakters zu akzeptieren sind. Für die Aufstellung allgemeingültiger Thesen, ist es zu empfehlen, den entsprechenden Abschnitt der Untersuchung in einem größeren Rahmen zu wiederholen. Schlussfolgerung: Abschließend lässt sich sagen, dass der Einfluss des stomatognathen Systems auf die Meatusmorphologie nicht verallgemeinert werden kann. Die Studie zeigt jedoch, dass craniomandibulär bedingte Schmerzen, Kiefergelenkgeräusche und auch die kieferorthopädische Situation des Patienten in Zusammenhang mit der Meatusgröße stehen und somit eine verstärkte Zusammenarbeit der Kieferorthopäden und der auf CMD- spezialisierten Zahnärzte mit den HNO-Ärzten empfehlenswert ist. Desweiteren sollte das in Deutschland geltende Schema zur Einstufung des kieferorthopädischen Behandlungsbedarfs (KIG), welches die Behandlungskosten einer reinen Distalbisstherapie bisher nicht übernimmt, den aktuellen Forschungsergebnissen angepasst werden.
In der Querschnittsanalyse der Daten der bevölkerungsrepräsentativen Studie SHIP 0 konnte belegt werden, dass CMD neben Kopfschmerzen den stärksten Einfluss auf Tinnitus hat. Im Anschluss an SHIP 0 wurde im Rahmen einer Longitudinalstudie mit einem Zeitabstand von 5 Jahren SHIP 1 begonnen. Dies ermöglicht es, die Prävalenz für häufig auftretende Erkrankungen mit ihren Risikofaktoren in Mecklenburg Vorpommern zu berechnen. Ziel dieser Arbeit war es zu erforschen, inwieweit Anzeichen und Symptome von CMD als Risikofaktoren für die Entwicklung von Tinnitus identifiziert werden können. Insgesamt wurden nach 5 Jahren 3300 Probanden (76 %) erneut in Hinblick auf Tinnituserkrankungen und den Anzeichen und Symptomen von CMD bewertet. Es wurden die gleichen Fragen und Behandlungsmethoden wie in SHIP 0 verwendet. Um die Einschätzung des relativen Risikos zu berechnen, wurde eine modifizierte Poisson Regression verwendet. Die prävalenten Fälle mit diagnostiziertem Tinnitus wurden ausgeschlossen und es wurden insgesamt 3134 Probanden analysiert. Von den 166 Probanden, die Palpationsschmerzen im Kiefergelenk in SHIP 0 berichteten, entwickelten 24 Probanden (14,5 %) nach 5 Jahren Tinnitus. Unter den 2968 Probanden, die keine Palpationsschmerzen aufwiesen, entwickelten 167 Probanden (5,6 %) Tinnitus. Somit ergibt sich für die Probanden mit diagnostiziertem Tinnitus eine Risikodifferenz von 8,9 % (95 % CI: 1,20- 10,60) und ein relatives Risiko von 2,60 (95 % CI: 1,73- 3,91). Nach Berücksichtigung der potentiellen Störfaktoren wie Geschlecht, Alter, Schulbildung, häufigen Kopfschmerzen und berichteter Schmerz im Kiefergelenk ergab sich ein Risikoanteil von 2,41 % (95 % CI: 1,55- 3,73). Somit scheint CMD ein Risikofaktor für Tinnitus zu sein. Eine Prüfung in Bezug auf CMD sollte im Rahmen einer diagnostischen Untersuchung von Tinnituspatienten erfolgen. Vor allem der Palpation der Kaumuskulatur und des Kiefergelenks sollte eine hohe Priorität zu kommen.