Die reverse Genetik ist ein wichtiges Werkzeug in der Grundlagenforschung und Impfstoffentwicklung der Influenza-A- und -B-Viren. Oft ist der limitierende Schritt fĂŒr die Erstellung eines solchen Systems der reversen Genetik, bestehend aus mehreren Plasmiden fĂŒr die einzelnen Gensegmente, die Klonierung der Virusgene in den Expressionsvektor. FĂŒr eine schnellere und einfachere Klonierung wurde in dieser Arbeit das LacZa-Fragment mittels modifizierter QuikChange-Reaktion in den Klonierungsvektor pHWSccdB inseriert. Mit dem so entstandenen Vektor pHWSccdBLacZa ist es nun möglich, zusĂ€tzlich eine Blau/WeiĂ-Selektion durchzufĂŒhren. Beider target-primed plasmid amplification zur Insertion des viralen Gensegmentes werden hierbei die beiden Selektionsmarker ccdB und LacZa durch das virale Gen ersetzt. Bakterienkolonien mit kloniertem Gensegment können von denen ohne komplettes Insert nun leichter und frĂŒhzeitiger durch eine nicht vorhandene BlaufĂ€rbung unterschieden werden. Schweine spielen in der Influenzavirus-Transmission eine besondere Rolle, da sie als sog. âmixing vesselâ gelten. Sie können z. B. Reassortanten aus aviĂ€ren und porzinen Influenzaviren auf den Menschen ĂŒbertragen, die sich bei einer zeitgleichen Infektion mit beiden Viren im Schwein bilden können. In dieser Arbeit wurden die seit 1979 in Europa zirkulierenden aviĂ€ren H1N1- Schweineviren betrachtet. Sie sind SchweinestĂ€mme, deren Gene von einem aviĂ€ren VorlĂ€ufervirus abstammen. Unter dem Ziel der Untersuchung der molekularen Determinanten des Wirts-Tropismus dieser aviĂ€ren H1N1-Schweineviren wurden Reassortanten und Zufallsressortanten hergestellt unter Verwendung des aviĂ€ren Virus A/Duck/Bavaria/1/77 (H1N1) (DkBav) und des aviĂ€ren Schweinevirus A/Swine/Belgium/1/79 (H1N1) (SwBelg). ZunĂ€chst wurde die Replikationseffizienz von DkBav, SwBelg und den hergestellten Reassortanten auf einer aviĂ€ren und einer porzinen Zelllinie untersucht. Hierbei wurde festgestellt, dass fĂŒr das aviĂ€re Virus DkBav das HA von SwBelg ausreicht, um in porzinen Zellen das Wachstumsniveau von SwBelg zu erreichen. Das HA-Segment ist also entscheidend fĂŒr den Wirtstropismus von DkBav in einer porzinen Zelllinie. Experimente im Schwein zeigten jedoch, dass DkBav nicht alleine durch das HA von SwBelg zu einem Schweinevirus wird. FĂŒr diese Experimente wurden Schweine intranasal mit den hergestellten Viren, SwBelg und DkBav infiziert. Um die Replikation im Schwein zu steigern, benötigt DkBav zusĂ€tzlich zum HA noch das NA von SwBelg und fĂŒr die Transmission von Schwein zu Schwein das NP sowie eines oder mehrere der anderen Gensegmente von SwBelg. FĂŒr eine starke Virusvermehrung in der Lunge benötigt DkBav den Polymerasekomplex, HA und NA von SwBelg. FĂŒr die Transformation in ein Schweinevirus benötigt DkBav also kein bestimmtes Gensegment, sondern eine Kombination mehrerer Gensegmente. FĂŒr hochpathogene aviĂ€re Influenzaviren ist die polybasische Spaltstelle des OberflĂ€chenproteins HA der wichtigste Virulenzfaktor. Das HA ist u. a. fĂŒr die Bindung und die Fusion der Endosomenmembran von Influenzaviren mit der Wirtszelle zustĂ€ndig. Da eine polybasische HA-Spaltstelle alleine jedoch nicht ausreicht, um die Virulenz eines LPAIV deutlich zu erhöhen, wurde in dieser Arbeit nach weiteren Virulenzdeterminanten im HA des hochpathogenen Influenzavirus A/Swan/Germany/R65/2006 (H5N1) (R65wt) zusĂ€tzlich zur polybasischen Spaltstelle gesucht. Hierzu wurden von den Viren R65wt und A/Teal/Germany/Wv632/2005 (H5N1) mit eingesetzter polybasischer Spaltstelle (TG05poly) verschiedene HA-ChimĂ€ren und -Mutanten hergestellt und diese in vitro und in vivo untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die eingefĂŒgten Mutationen nicht ausreichten, um TG05poly zu einem hochpathogenen Virus zu machen. FĂŒr das hochpathogene Virus R65wt wurden die AminosĂ€uren HA-R123 und HAI124 als weitere Virulenzdeterminanten identifiziert. Bei HA-Sequenz- und HAStrukturanalysen wurde festgestellt, dass die AminosĂ€uren HA-123 und HA-124 innerhalb des niedrigpathogenen bzw. des hochpathogenen PhĂ€notyps hoch konserviert vorliegen. Mutationen an diesen Positionen verringern nicht nur HA-Aktivierungs-pH und Virus-Inaktivierungs-pH deutlich, sondern auch die LetalitĂ€t des Virus um fast 50 % (HA-I124T) oder das Virus wurde sogar avirulent (HA-R123S). Im Falle einer polybasischen Spaltstelle ist also eine erhöhte pH-StabilitĂ€t des HA vermittelt durch die AminosĂ€ure R123 essentiell fĂŒr die Entstehung eines hochpathogenen aviĂ€ren H5N1-Virus aus einem niedrigpathogenen VorlĂ€ufer.
Influenza-A-Viren sind wichtige Pathogene von Mensch und Tier. Als Erreger der klassischen GeflĂŒgelpest fĂŒhren hoch-pathogene aviĂ€re Influenzaviren (HPAIV) weltweit zu hohen Verlusten in der GeflĂŒgelindustrie. Des Weiteren stellen der zoonotische Charakter und das pandemische Potential, vor allem von StĂ€mmen des Subtyps H5N1, eine ernste gesundheitliche Bedrohung fĂŒr die Bevölkerung dar. Zur Risikobewertung dieser Viren ist es daher notwendig, genetische Marker zu ermitteln, welche die Virulenz und das Wirtsspektrum beeinflussen. FĂŒr die Identifizierung dieser Virulenzdeterminanten sind Pathogenese-Studien in verschiedenen Tiermodellen wie HĂŒhnern und MĂ€usen essenziell. Bisher wurde gezeigt, dass HPAIV aus niedrig-virulenten VorlĂ€ufern durch den Erwerb eines polybasischen Spaltmotives im HĂ€magglutinin (HA) im Zuge der Adaptation an terrestrisches GeflĂŒgel hervorgehen. Im ersten Teil dieser Arbeit sollte daher die FĂ€higkeit eines niedrig-pathogenen aviĂ€ren Influenzavirus (LPAIV) vom Subtyp H5N1 zur Ausbildung eines HPAIV-PhĂ€notyps untersucht werden. Dazu wurde das revers-genetische System fĂŒr das Isolat A/Teal/Germany/Wv632/05 (H5N1) etabliert und das Virus TG05 generiert. In-vitro konnte die Trypsin-AbhĂ€ngigkeit als Merkmal von LPAIV bestĂ€tigt werden. Im Huhn verhielt sich dieses Virus avirulent. Durch zielgerichtete Mutagenese wurde die HA-Spaltstelle in ein polybasisches Motiv mutiert und das Virus TG05poly generiert. Das Virus war wie ein HPAIV zur in-vitro-Replikation ohne Trypsin-Zusatz fĂ€hig, löste aber nach der Infektion von HĂŒhnern nur eine zeitlich begrenzte Erkrankung aus. Des Weiteren wurde die HA-Reassortante TG05-HAR65 generiert, deren Genom aus dem HA-Gen des HPAIV-Isolates A/Swan/Germany/R65/06 (H5N1) (R65) und den anderen sieben Gensegmenten von TG05 besteht. Dieses Virus konnte in-vitro ebenfalls Trypsin-unabhĂ€ngig replizieren, fĂŒhrte aber zu einer LetalitĂ€t von 30%. Eine weitere Reassortante, R65-HATG05poly, enthielt die umgekehrte Genkonstellation: das mutierte TG05-HA und die anderen Gensegmente des R65. An der Infektion verstarben acht von zehn HĂŒhnern, was der LetalitĂ€t von ânatĂŒrlichenâ HPAIV entspricht. Der Erwerb einer polybasischen HA-Spaltstelle ist daher ein notwendiger, aber nicht hinreichender Schritt in der Evolution von LPAIV zu HPAIV. So kann nicht jeder H5- oder H7-LPAIV-Stamm als unmittelbarer HPAIV-VorlĂ€ufer dienen. ZusĂ€tzlich zur HA-Spaltstelle sind weitere Virulenz-Determinanten im HA selbst, aber auch in den anderen viralen Proteinen, vorhanden. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde daher auch der Einfluss der AminosĂ€uren der unmittelbaren Spaltstellen-Umgebung untersucht. Dazu wurden verschiedene Virus-Mutanten des R65 mit AminosĂ€ure-Substitutionen in der HA-Spaltstelle selbst (Motive ETR und ER) und in ihrer direkten Umgebung (HA-S346V) generiert und hinsichtlich der in-vitro-Replikation und der Virulenz im Huhn untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass HA-346S einen Vorteil fĂŒr die Replikation von LPAIV und HPAIV vermittelt. T an Position 2 der Spaltstelle unterstĂŒtzt die Replikation von LPAIV. Bei Erwerb der polybasischen Spaltstelle wĂ€hrend der Evolution von LPAIV zu HPAIV mĂŒssen also auch die benachbarten Regionen im HA angepasst werden. Die H5N1 HPAIV der Clade 2.2 verbreiteten sich ĂŒber infizierte Vögel von SĂŒdostasien nach Europa, infizierten aber auch eine Vielzahl von SĂ€ugerspezies. Normalerweise weisen aviĂ€re Influenzaviren PB2-627E auf; im Gegensatz dazu besitzen die Clade 2.2-Viren PB2-627K, was sonst in humanen StĂ€mmen zu finden ist. Um im dritten Teil dieser Arbeit den Einfluss dieser Mutation auf das breite Wirtspektrum der Clade 2.2-Viren zu untersuchen, wurde im HPAIV-Isolat R65 PB2-627K durch E ersetzt und die Virusmutante R65-PB2K627E generiert. Im Vergleich zu R65 war die Replikation von R65-PB2K627E in SĂ€ugerzellen drastisch reduziert, in Vogelzellen replizierten beide Viren jedoch gleich. Des Weiteren fĂŒhrte die Substitution zu einer extrem verringerten Polymerase-AktivitĂ€t auf 5% in SĂ€ugerzellen, aber nur zu einer vergleichsweise wenig verringerten AktivitĂ€t in Vogelzellen. WĂ€hrend die Virulenz im Huhn durch die Mutation nicht verĂ€ndert wurde, konnte bei der Bestimmung der LD50 in der Maus eine drastische Attenuierung gezeigt werden. Interessanterweise revertierte bereits nach einer Mauspassage PB2-K627E zurĂŒck zu K, im Huhn erfolgte diese Reversion aber nicht. Um zu untersuchen, ob andere virale Proteine fĂŒr diese Reversion notwendig sind, wurden Reassortanten generiert, welche R65-PB2-K627E und ein oder mehrere Gensegmente des R65 im Hintergrund des HPAIV A/Hong Kong/156/97 (H5N1) tragen, welches natĂŒrlicherweise PB2-627E besitzt. Mittels Zellkultur-Passagen dieser Reassortanten konnte gezeigt werden, dass die Reversion zu PB2-627K nur in SĂ€ugerzellen auftritt, und dass dazu das Nukleoprotein des R65 notwendig ist. Die schnelle Reversion zu PB2-627K in SĂ€ugerzellen und in MĂ€usen zeigt, dass die H5N1 HPAIV der Clade 2.2 in ihrer Evolution möglicherweise mehrere Wirte gehabt haben, zu denen wahrscheinlich auch SĂ€uger gehörten.
Hochpathogene aviĂ€re Influenza-Viren (HPAIV) entstehen aus niedrig pathogenen aviĂ€ren Influenza-Viren (LPAIV) durch die Erlangung einer polybasischen Spaltstelle im HĂ€magglutinin (HA). Diese gilt als Hauptvirulenzdeterminante. Durch die polybasische Spaltstelle kann das HA-VorlĂ€uferprotein ubiquitĂ€r durch Subtilisin- Ă€hnliche Proteasen gespalten werden, was zu einer systemischen Infektion fĂŒhrt. Bis jetzt sind in der Natur nur HPAIV der Serotypen H5 und H7 bekannt. Es ist noch unklar, ob die Umgebung der HA-Spaltstelle in der Evolution zum HPAIV angepasst werden muss, oder ob HA vom Serotyp H5 die polybasische HA-Spaltstelle besonders schnell erwerben können und ob die artifizielle EinfĂŒhrung einer polybasischen HA-Spaltstelle in verschiedene LPAIV HA-Serotypen zu einem hochpathogenen PhĂ€notyp fĂŒhrt. Diese drei Fragestellungen wurden in separaten Projekten in der vorliegenden Arbeit untersucht. Vergleiche der HA-Spaltstellenumgebungen zeigten, dass die meisten HPAIV H5- Isolate entweder Serin oder Threonin an Position 323 (H3-Nummerierung) des HA tragen. LPAIV H5-Isolate besitzen dagegen an der korrespondierenden Stelle Valin. DarĂŒber hinaus weisen die meisten LPAIV H5 an Position P2 der HA-Spaltstelle ein Threonin auf. Daher wurde der Einfluss dieser beiden Positionen auf die Virulenz untersucht. Hierzu wurden monobasische und polybasische HA-Spaltstellenmutanten des HPAIV A/Swan/Germany/R65/02 H5N1 (H5/R65) mit Hilfe der reversen Genetik hergestellt. In den in vitro Untersuchungen zeigten alle monobasischen HA-Spaltstellenmutanten den erwarteten PhĂ€notyp eines LPAIV. Beim Wachstumsverhalten fĂŒhrte allerdings Serin zu einer effizienteren frĂŒhen Replikation. AuĂerdem scheint das HA-Spaltmotiv E-R!G, welches bisher in keinem LPAIV H5 gefunden wurde, einen Nachteil gegenĂŒber dem HA-Spaltstellenmotiv E-T-R!G zu haben, welches bei LPAIV H5- Isolaten fast ausschlieĂlich zu finden ist. Dieser Nachteil kann allerdings durch den Austausch von Valin 323 zu Serin aufgehoben werden. Im Gegensatz dazu fĂŒhrte der Austausch von Serin 323 zu Valin im HPAIV H5/R65 zu keinen Unterschieden in vitro. In vivo zeigten mit H5/R65-V infizierte HĂŒhner aber ein verlĂ€ngertes Ăberleben. Daher ist anzunehmen, dass Serin an Position 323 zur Virulenz im Huhn beitrĂ€gt. Die Evolution vom LPAIV VorlĂ€ufer zum HPAIV scheint nicht nur den Erwerb der polybasischen HA-Spaltstelle zu benötigen sondern auch die VerĂ€nderung von Regionen auĂerhalb der Spaltstelle. Um zu untersuchen, ob auch andere LPAIV auĂer H5 und H7 in der Lage sind, polybasische HA-Spaltstellen zu erwerben, wurden Selektionsversuche durchgefĂŒhrt. Die HA verschiedener Serotypen (H3, H4, H5, H6, H7, H8, H9) wurden, um möglichst naturnahe Bedingungen zu schaffen, degeneriert mutagenisiert und dann ohne Zugabe einer externen Protease auf Trypsin-unabhĂ€ngiges Wachstum hin selektiert. Es wurden nur von der monobasischen HA-Spaltstellenmutante des H5/R65 mit degeneriert mutagenisiertem HA, polybasische HA-Mutanten selektiert. Diese Viren zeigten eine ungewöhnliche AS-Komposition an der Spaltstelle, die weder der Wildtyp-Spaltstelle von H5/R65 noch einer natĂŒrlich bei HPAIV H5 vorkommenden Spaltstelle Ă€hnelt. Zwei der isolierten Selektanten zeigten in weiteren in vitro Charakterisierungen den PhĂ€notyp eines HPAIV. Da die Selektanten die restlichen sieben Gene und, auĂer der Spaltstelle, auch das HA mit H5/R65 gemeinsam haben, ist davon auszugehen, dass sie auch in vivo den PhĂ€notyp eines HPAIV zeigen wĂŒrden. AuĂerdem scheint es bei H5-StĂ€mmen eine PrĂ€disposition zum leichteren Erwerb einer polybasischen HA-Spaltstelle zu geben, wohingegen andere LPAIV-HA unter naturnahen Bedingungen polybasische HA-Spaltstellen deutlich schwerer erwerben können. Bei A/Chicken/Emirates/R66/02 H9N2 (H9/R66) fĂŒhrte die artifizielle EinfĂŒhrung der polybasischen HA-Spaltstellen eines HPAIV H5 oder H7 allein zwar zu Trypsin- unabhĂ€ngigem Wachstum in vitro, bei Infektion von HĂŒhnern blieb der PhĂ€notyp aber unverĂ€ndert niedrigpathogen. Die HA-Reassortante H9/R66+HAH5/R65 fĂŒhrte zur vorĂŒbergehenden nicht-letalen Erkrankung mit influenzatypischen Symptomen. Dagegen wies die Reassortante H5/R65+HAH9/R66mutR65 mit einem intravenösen PathogenitĂ€s-Index von 1,23 den PhĂ€notyp eines HPAIV auf. Dies zeigt, dass ein HPAIV vom Serotyp H9 möglich ist, wenn das HA eine polybasische Spaltstelle erwirbt und einige oder alle anderen Gene von einem HPAIV H5 abstammen.