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Jedes Jahr werden alleine in Deutschland circa 2,6 Millionen viszeralchirugische Operationen
durchgeführt, die insgesamt gesehen eine Mortalität von fast 2 % aufweisen. Ein häufiges Problem
bei der Durchführung dieser Eingriffe ist, dass die Patienten eine Dysfunktion des Immunsystems
entwickeln, die die Anfälligkeit gegenüber infektiösen Komplikationen erhöht.
Die Faktoren der Immundysfunktion sind zwar in Teilen bekannt, aber die Pathophysiologie
dahinter bleibt unbekannt. Das Verständnis der Pathophysiologie ist unerlässlich, um gute
therapeutische Optionen zu finden. Überdies werden Tiermodelle benötigt, die die klinische
Situation wiederspiegeln.
Mit dem murinen Modell der surgically-induced immune dysfunction werden die Reaktionen des
humanen Immunsystems in weiten Teilen nachempfunden, wobei ein wesentliches Ziel der Arbeit
war, die Kinetik der Immunveränderungen über einen 72 h-Zeitraum zu untersuchen.
Die Operation löst deutlichen Stress bei den Tieren aus und führt von Beginn an sowohl zu pro –
als auch antiinflammatorischen Prozessen, die vor allem abakteriell ausgelöst werden.
Dennoch überwiegt in der frühen postoperativen Phase die proinflammatorische Reaktion mit
Anstieg der neutrophilen Granulozyten, Anstieg der Zellen des Monozyten-Makrophagen-Systems
und der Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine. Zwischen dem 6 h- und 24 h-Zeitpunkt
gewinnt die antiinflammatorische Reaktion die Oberhand. Dieses zeigt sich durch eine
Lymphozytopenie mit Zunahme des Anteils der regulatorischen T-Zellen, durch eine verminderte
MHCII-Expression auf Antigen-präsentierenden Zellen, durch eine Zunahme der Aktivität des
Enzyms Indolamin-2,3-Dioxygenase, durch die Produktion von antiinflammatorischen Zytokinen
und durch eine verminderte Stimulierbarkeit von murinen Splenozyten.
Diese Immunreaktionen werden nicht nur durch die SID sondern auch durch eine einfache
Laparotomie ausgelöst, wobei sie dann weniger deutlich ausgeprägt sind und schneller ablaufen.
Von dieser Kinetik ausgehend, kann an diesem Modell der Nutzen von potentiellen Therapien
geprüft werden, wobei bis zum 6 h-Zeitpunkt antiinflammatorisch wirkende Substanzen vorteilhaft
sein könnten, die im Weiteren von immunstimulierenden Medikamente abgelöst werden.
Insgesamt weist dieses Modell viele Parallelen mit der humanen postoperativen
Immundysfunktion auf, sodass es der Grundlagenforschung viele Möglichkeiten eröffnet.
Die postoperative Immundysfunktion ist ein bis heute noch nicht verstandenes Phänomen. Das Mausmodell der postoperativen Immundysfunktion (SID-Modell) leistet hierbei einen Beitrag zur Klärung der zugrunde liegenden Mechanismen. Diese Arbeit charakterisiert das SID-Modell und kombiniert es mit dem klinischen Modell des orthotopen Pankreaskarzinoms. Klinisch sichtbare und immunologisch nachweisbare Prozesse der postoperativen Immundysfunktion, wie sie am Menschen regelhaft beobachtet werden, sind auch im SID-Modell nachweisbar. Die Operation nach dem Modell der SID erzeugt einen postoperativen paralytischen Ileus, der bis zu einer Woche anhält. Begleitend zu dem paralytischen Ileus treten die charakteristischen Darmwandödeme und dilatierten Darmschlingen auf. Weiterhin kommt es zu einer Migration von neutrophilen Granulozyten in die Darmwand. Auch vom Aspekt des Traumas entspricht das Modell der SID einem großen chirurgischen Eingriff, was durch den Nachweis der erhöhten systemischen und lokalen HMGB1-Konzentrationen gezeigt wird. Die komplexen immunologischen Vorgänge im SID-Modell lassen sich anhand ausgewählter Zytokine und Stresshormone nachvollziehen und sind den immunologischen Prozessen nach großen chirurgischen Interventionen am Menschen sehr ähnlich. So führt das Modell der SID an mehreren Stellen zu einem ausgeprägten Eingriff in den Regelkreis der hypothalamo-hypophysär-adrenalen Achse und des Immunsystems. Der perioperative Stress aktiviert die hypothalamo-hypophysär-adrenale Achse, die wiederum durch Glukokortikoide die Konzentration pro-inflammatorischer Zytokine minimiert. Diese begünstigen ihrerseits die Freisetzung von Glukokortikoiden. Dem entgegen fördert das durch ein operatives Trauma freigesetzte HMGB1 die Sekretion pro-inflammatorischer Zytokine aus Immunzellen. Es steht somit nun ein Modell zur Verfügung, das das Phänomen der postoperativen Immundysfunktion der Grundlagenforschung zugänglich macht.
Zusätzlich zur erfolgreichen Charakterisierung zeigt sich ein interessanter klinischer Bezug zum orthotopen Pankreaskarzinom-Modell. Dabei löst das SID-Modell einen erheblichen negativen Einfluss auf das Überleben von Mäusen mit einem Pankreaskarziom aus. Das SID-Modell könnte eine häufig existierende Situation am Menschen, bei denen sich ein Karzinom oder Metastase chirurgisch nicht vollständig resezieren ließ, abbilden und der Entwicklung neuer Strategien, wie etwa einer perioperativen Immunmodulation, dienen.
Trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts und verbesserter Therapien bleibt das Pankreaskarzinom
eine äußerst schwerwiegende Erkrankung und ist gekennzeichnet durch eine späte Diagnosestellung,
eine - sofern noch möglich - anspruchsvolle und risikoreiche Operation zur Resektion und eine trotz
aller Bemühungen niedrige Überlebensrate.
Die körpereigene Tumorabwehr umfasst eine Vielzahl an ineinandergreifenden immunologischen
Prozessen und unterliegt der Beeinflussung durch zahlreiche Faktoren. Gerade für den Verlauf nach
einer ausgedehnten Operation ist ein intaktes Immunsystem von ganz besonderer Bedeutung.
So ist es unabdingbar, die Kenntnisse über den Einfluss einer operativ ausgelösten Immundysfunktion
auf den Verlauf des Pankreaskarzinoms zu erweitern und die Mechanismen dezidiert zu untersuchen.
Die Kombination beider Mausmodelle stellt dafür eine ausgezeichnete Möglichkeit dar.
Die Kombination von Tumor und SID löst eine starke Aktivierung des Immunsystems aus. In Blut und
Milz konnte eine ausgeprägte Verschiebung der zellulären Zusammensetzung zugunsten der
Neutrophilen Granulozyten und der Monozyten beobachtet werden. T-Helfer- und Zytotoxische TZellen
zeigten eine verstärkte Aktivierung. Sowohl pro- (z.B. IL-6, IL-1β, TNF) als auch
antiinflammatorische (z.B. IL-10) Zytokine waren im Serum bzw. im Splenozytenüberstand in
erhöhter Konzentration messbar. Dies unterstreicht die Vermutung, dass die Kombination beider
Stressoren (Tumor + SID) zu einer verstärkten und möglicherweise prolongierten sowie
dysregulierten Aktivierung des Immunsystems führt. Wesentliche Ergebnisse dieses Teils der Arbeit
wurden im August 2022 im Cancers (Basel) veröffentlicht.
Zusätzlich konnte durch die Bestimmung verschiedenster Metabolite gezeigt werden, dass die
Kombination von Tumor und SID einen katabolen Stoffwechsel hervorruft. Viele Metabolite, wie
Spermin, Spermidin oder Carnosin, die das Tumorwachstum beeinflussende Eigenschaften
aufweisen, zeigten sich durch die Kombination der beiden Stressoren signifikant verändert. Nicht
zuletzt wurde der Einfluss von Tumor und SID sogar auf den Stoffwechsel von
Plasmamembranbestandteilen sichtbar.
Die Kombination dieser beiden Modelle bietet viel Potential für wichtige Erkenntnisse in Bezug auf
den Einfluss der postoperativen Immundysfunktion auf den Verlauf des Pankreaskarzinoms und kann
einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der immunologischen wie metabolischen Mechanismen
leisten. Nur so besteht die Möglichkeit, in Zukunft vielversprechende Therapieansätze entwickeln zu
können.
Mit der Entdeckung der immunmodulatorischen Funktion des N. vagus über den cholinergen antiinflammatorischen Signalweg ergeben sich neue Möglichkeiten hinsichtlich der Analyse immunologischer Reaktionen im Verlauf der postoperativen Immunsuppression. Die Immundysfunktion infolge eines operativen Eingriffs stellt im chirurgischen Alltag eine große Herausforderung dar. Sie beeinflusst erheblich den Verlauf der Wundheilung sowie der Regeneration und bei sekundärer Infektion die Reaktion auf eine postoperativ erworbene Sepsis. Die Untersuchung der Folgen einer subdiaphragmalen Vagotomie in der postoperativ erworbenen Immunschwäche war eine zentrale Frage dieser Arbeit, da somit der Einfluss des N. vagus auf die postoperative Immundysfunktion beschrieben werden kann.
Die Vagotomie führte zu keiner Beeinträchtigung des Überlebens in der postoperativen Immunschwäche. Dies wäre erst zu erwarten, wenn ein zusätzlicher infektiöser Stimulus im Sinne einer Sepsis hinzukäme. In der Immunparalyse ist der Körper empfänglicher gegenüber infektiösen Komplikationen durch u. a. eine erleichterte Ausbreitung von Erregern im Blut. So führte bei Mäusen ohne Einfluss des Vagus die chirurgisch induzierte Immundysfunktion zu einer erhöhten Keimlast in der Peritoneallavage. War bei den Tieren der N. vagus hingegen intakt, schien dies nicht der Fall zu sein. Es ließ sich somit nachweisen, dass die Vagotomie die Erregerausbreitung bei einer postoperativ erworbenen Immundysfunktion begünstigt und somit zu einem erhöhten sekundären Infektionsrisiko beitragen könnte. Im Umkehrschluss ist möglicherweise anzunehmen, dass der Vagus eine eventuelle Rolle in der bakteriellen Last des Peritoneums spielt. In der frühen Phase der postoperativen Immunsuppression fördert die Durchtrennung des Vagus proinflammatorische Mechanismen über eine erhöhte MCP-1 Ausschüttung. Somit wurde gezeigt, dass die Vagotomie entzündungsfördernde Vorgänge, die zu einer Sepsis führen könnten, begünstigt. Im Umkehrschluss ist eine protektive Rolle des Vagus in der frühen postoperativen Phase anzunehmen. Hingegen ließ sich im Zeitverlauf über 72 Stunden eine prolongierte verminderte Immunabwehr der immungeschwächten Versuchstiere mit intaktem Vagus durch eine anhaltende IFN-γ-Suppression zeigen. Der N. vagus könnte somit besonders in der späten postoperativen Phase zu einer erhöhten Infektanfälligkeit der Patienten beitragen. Zusammenfassend weisen die Ergebnisse auf verschiedene Rollen des N. vagus zu verschiedenen Zeitpunkten in der Immundysfunktion nach chirurgischen Eingriffen hin. Damit wird ein neues Forschungsfeld eröffnet, dass die Auswirkungen des Nervus vagus bei postoperativ erworbener Immunsuppression einer genauen Analyse und somit einer Entwicklung von Therapien ermöglicht.