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Proteom- und Transkriptom-Analysen zur Bestimmung der Immuntoxizität ausgewählter Naturstoffe
(2017)
Der Einsatz von Tierversuchen in Forschung und Entwicklung nimmt trotz fortschreitender Optimierung von Testmethoden und –verfahren weiter zu. Zeitgleich werden fortwährend neue Substanzen isoliert oder synthetisiert, deren Wirkungen auf den humanen Organismus und speziell das Immunsystem nicht bekannt sind. In vitro Methoden stellen deshalb sowohl eine günstige und schnelle als auch eine ethisch unbedenkliche Alternative zu Tierversuchen dar. In der vorliegenden Arbeit sollten proteom- und transkriptombasierte Methoden dazu dienen, immuntoxische Eigenschaften von Naturstoffen zu identifizieren und diese Verfahren als Alternative zu Tierversuchen zu etablieren. Dazu wurden zwei humane Immunzelllinien mit Naturstoffen behandelt und das intrazelluläre Proteom sowie das Transkriptom spezifischer Biomarker-Gene analysiert. Zusätzlich dienten weitere Methoden wie Metaboliten-, Zellzyklus- und Apoptoseanalysen sowie die Identifizierung intrazellulärer reaktiver Sauerstoffspezies dazu, Ergebnisse zu verifizieren oder zusätzliche Informationen zu erhalten. Wie zu erwarten war, zeigten die Proteomanalysen, dass sowohl immuntoxische als auch nicht-immuntoxische Substanzen eine breite Wirkung auf das intrazelluläre Proteom haben. Vor allem Proteine, die in den allgemeinen Metabolismus, zelluläre Prozesse und Prozesse der Informationsverarbeitung involviert sind, wurden durch die Behandlung mit den Substanzen in ihrer relativen Menge auf den 2D-Gelen verändert. Allein durch die Zuordnung von Proteinen zu Stoffwechselwegen war eine Abgrenzung immuntoxischer und nicht immuntoxischer Substanzen nicht möglich. Dennoch gibt die Methode einen Einblick in die Wirkungsweise der Substanzen, wodurch Wirkmechanismen entschlüsselt und Reaktionen auf das Immunsystem abgeleitet werden können. Dies wird vor allem nach der Behandlung der Zellen mit Tulipalin A und Helenalin deutlich, da auch allgemeine Stoffwechselwege wie die Purinsynthese und die anaerobe Glykolyse einen Einfluss auf das Immunsystem haben. Zusätzlich zu den allgemeinen Stoffwechselwegen wurden einzelne Proteine in ihrer Abundanz verändert, die in Reaktionen des Immunsystems wie der Zytokinbildung oder der Bildung von MHC-Molekülen involviert sind. Außerdem konnten Biomarker für Immuntoxizität auf Proteomebene entwickelt werden. Mit Hilfe dieser Daten war eine Klassifizierung der Substanzen nach ihrer Immuntoxizität möglich. Anhand dieser Analysen wurden die Testsubstanzen Tulipalin A, Helenalin, Vincristin und Cannabidiol als immuntoxisch klassifiziert. Die Klassifizierung der Substanzen als immuntoxisch aufgrund der Biomarker-Proteine und Stoffwechselwege konnte durch die Anwendung von Transkriptom-Biomarkern bestätigt werden. Neben den über 2D-Gelelektrophorese-basierten Proteomanalysen getesteten Substanzen wurden auch Bisphenol A und Ergosterolperoxid aufgrund der Transkriptombiomarker als immuntoxisch klassifiziert. Agaritin und p-Tolylhydrazin sowie der Bisphenol A bis(2,3-dihydroxypropyl) ether haben keine immuntoxische Wirkung. Neben den Proteom-basierten Methoden dient der entwickelte Entscheidungsbaum basierend auf verschiedenen Methoden als Grundlage für die Immuntoxiztätsklassifizierung. Mit dem erstellten Entscheidungsbaum konnten beispielsweise Cyclosporin A, Helenalin und Tulipalin A durch die Anwendung gezielter Tests als immuntoxisch eingestuft werden, während Mannitol als nicht-immuntoxisch bestätigt wurde. Zusammenfassend war es mittels in vitro Methoden möglich, die Immuntoxizität verschiedener Naturstoffe zu identifizieren. Neben Proteom-basierten Methoden wurden auch Transkriptom- sowie funktionelle und Metabolomanalysen genutzt. Eine Validierung der Ergebnisse mit weiteren bekannten immuntoxischen und nicht-immuntoxischen Substanzen würde eine Anwendung als Alternative zu Tierversuchen für eine erstes Screening Testung neuer Substanzen ermöglichen und so sowohl Zeit und Kosten sparen als auch ethische Bedenken minimieren.
Das bisherige Wissen über den Einfluss von pharmazeutischen Hilfsstoffen auf die Funktion von Arzneistofftransportern ist insbesondere für die pharmakokinetisch bedeutsame Gruppe der Aufnahmetransporter sehr beschränkt. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten in vitro Untersuchungen liefern umfangreiche und systematische Daten zu inhibitorischen Effekten von häufig verwendeten pharmazeutischen Hilfsstoffen auf die Transportfunktion der in vielen pharmakologisch bedeutsamen Geweben exprimierten organic cation transporter (OCT) 1-3 sowie H+/peptide cotransporter (PEPT) 1/2. Für viele dieser pharmakokinetisch-relevanten Aufnahmetransporter sind es die erstmals beschriebenen Interaktionen mit pharmazeutischen Hilfsstoffen.
Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass der pharmazeutische Hilfsstoff Cremophor® EL (CrEL) neben der bereits bekannten Hemmung von Phase-I-Metabolismus und Effluxtransport auch die zelluläre Aufnahme von Arzneistoffen beeinflusst, wie am klinisch relevanten Beispiel des Doxorubicin dargestellt wurde. Hierbei beeinflusste der genannte Hilfsstoff die zelluläre Akkumulation von Doxorubicin über die Aufnahmetransporter organic anion transporting polypeptide (OATP) 1A2 sowie OCT1, OCT2 und OCT3 in artifiziellen Zellmodellen und zeigte sich zudem auf funktioneller Ebene anhand einer erheblich veränderten Zytotoxizität in MDA-MB-231 Brustkrebszellen. Auf diesem Wege könnten pharmazeutische Hilfsstoffe zusammen mit Transporter-Polymorphismen wie beispielsweise für OATP1A2, deren Rolle für Doxorubicin in dieser Arbeit auch untersucht wurde, für unaufgeklärte Veränderungen sowie Variabilität der Pharmakokinetik, Effektivität und Sicherheit von Arzneistoffen verantwortlich sein.
Die spezifische Normalisierung von in vitro Transportdaten auf den Transportproteingehalt anstelle des Gesamtproteingehaltes kann dabei zur erheblichen Verbesserung der Beurteilung von Transportaktivitäten einzelner Transportproteine sowie deren Beteiligung am Transportprozess eines Arzneistoffes beitragen, wie für die Aufnahme von Doxorubicin und der damit assozierten Zytotoxizität über die OATP1A2-Varianten gezeigt werden konnte.
In der durchgeführten in vivo Studie zeigten sich durch CrEL hervorgerufene Veränderungen in der systemischen Pharmakokinetik sowie noch weit drastischere Auswirkungen auf die Akkumulation des Modellarzneistoffes Clarithromycin (CLA) am Wirkort in der Lunge. Die Hemmung des Cytochrom P450 (CYP) 3A-Metabolismus und des multidrug resistance protein 1 (ABCB1)-vermittelten Effluxtransportes in Leber, Nieren und alveolären Makrophagen konnte hierbei als möglicher Mechanismus für die erhöhte Exposition von CLA im Blutplasma und in den bronchoalveolären Lavage-Zellen identifiziert werden. Allerdings ist die Interpretation von derartigen in vivo-Befunden aufgrund des komplexen und zum Teil simultan ablaufenden Wechselspiels von zahlreichen Aufnahme- und Effluxtransportern sowie von Metabolisierungsenzymen nicht eindeutig konklusiv.
Derartiges Wissen zur Interaktion pharmazeutischer Hilfsstoffe mit pharmakologisch bedeutsamen Enzymen und Transportern kann dazu beitragen, gewünschte Wirkungen zu verstärken sowie unerwünschte Effekte zu minimieren. Das Zusammenspiel der Einflüsse von pharmazeutischen Hilfsstoffen auf Metabolismus, Efflux und Aufnahme kann somit sowohl zu synergistischen als auch zu antagonistischen Effekten auf die Absorption, Verteilung und Elimination eines Arzneistoffes führen. Weiterhin sollte berücksichtigt werden, dass viele Erkrankungsbilder sowie Polymorbidität nicht selten die Therapie mit mehreren Arzneimitteln erfordern, welches auch mit einem erhöhten Risiko für Arzneistoff-Hilfsstoff-Interaktionen verbunden ist.
Die Erkenntnisse dieser Arbeit zum Einfluss von häufig verwendeten Hilfsstoffen auf die Funktion von Arzneistofftransportern unterstreichen, dass von den zunächst als pharmakologisch inert eingestuften Substanzen in Arzneimitteln durchaus pharmakokinetische Effekte ausgehen können.
Dieses Wissen sollte insbesondere bei der präklinischen Entwicklung von Arzneistoffen berücksichtigt werden. Andernfalls drohen möglicherweise Fehlinterpretationen, wenn neue Entwicklungskandidaten in Anwesenheit von pharmazeutischen Hilfsstoffen (z.B. zur Verbesserung der Löslichkeit) auf ihre Affinität zu Metabolisierungsenzymen und Transportern geprüft werden.
Neben der etablierten Anwendung als pharmazeutischer Hilfsstoff rückt in der letzten Zeit auch vermehrt die Nutzung von beispielsweise Cyclodextrinen wie Hydroxypropyl-β-cyclodextrin als Wirkstoff zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs oder Arteriosklerose in den Fokus der Forschung. Weitere Untersuchungen zum Einfluss von pharmazeutischen Hilfsstoffen und deren Potential zur Interaktion mit Arzneistoffen, der Optimierung bestehender Therapien sowie möglicher Anwendungen als Wirkstoff sollten im Fokus künftiger in vitro und in vivo Studien stehen.