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Suchtprävention in der Grundschule - Effekte der Programme Eigenständig werden und Klasse2000
(2011)
Fragestellung: Anhand des Lebenskompetenzprogramms Eigenständig werden sowie des Suchtpräventions- und Gesundheitsförderungsprogramms Klasse2000 sollen die Effekte von Grundschulprogrammen sowohl auf Vorläufer des Einstiegs in den (problematischen) Substanzkonsum als auch auf das erste Experimentieren mit psychotropen Substanzen wie Zigaretten und Alkohol untersucht werden. Zusätzlich soll überprüft werden, inwieweit Klasse2000 aufgrund der angestrebten Korrektur rauchbezogener Normen zu iatrogenen Effekten in Form von Bullying sowie zu erwünschten Effekten in Form der Erhöhung der Resistenz gegenüber sozialen Einflüssen führt. Methodik: Eigenständig werden sowie Klasse2000 begleiten die Kinder über die gesamte Grundschulzeit. Eigenständig werden umfasst 42 45- bis 90-minütige Einheiten (10 pro Schuljahr), die durch trainierte Lehrkräfte im Unterricht umgesetzt werden. Für Klasse2000 existieren Ausarbeitungen für 48 45- bis 90-minütige Einheiten (14 bis 15 pro Schuljahr), deren Durchführung sowohl durch Lehrkräfte als auch durch Klasse2000-Gesundheitsförderer im schulischen Alltag erfolgt. Zu Eigenständig werden wurde eine vierjährige quasiexperimentelle Kontrollgruppenstudie mit Messwiederholung in Sachsen durchgeführt. Daten zur Baseline und zu mindestens einem weiteren Befragungszeitpunkt lagen für 919 Schüler aus 50 Grundschulen vor. Aufgeteilt auf die Bedingungen „Teilnahme an Eigenständig werden“ und „Keine Teilnahme an Eigenständig werden“ wurden die Schüler anhand von Lehrkrafturteilen zu der Ausprägung ihrer Lebenskompetenzen sowie ihrer externalisierenden und internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten, die als Vorläufer des späteren Substanzkonsums identifiziert werden konnten, mittels Mehr-Ebenen-Wachstumskurvenmodellen verglichen. Zur Überprüfung der Programmeffekte von Klasse2000 wurde eine vierjährige Kontrollgruppenstudie mit Messwiederholung in Hessen realisiert. Während in Klassen der Interventionsgruppe das Präventionsprogramm Klasse2000 kontinuierlich über den Verlauf der Grundschulzeit umgesetzt wurde, nahmen Klassen der Kontrollgruppe „lediglich“ am normalen Unterricht teil. Zur Beantwortung der Fragestellung, inwieweit sich Klasse2000 auf den Einstieg in den Substanzkonsum auswirkt, wurden die Ende der dritten Klasse als Nie-Raucher (N=1.027), Nie-Trinker (N=1.072) und gleichzeitig als Nie-Raucher und Nie-Trinker (N=979) identifizierten Schüler am Ende der vierten Klasse hinsichtlich der Inzidenz des Substanzkonsums verglichen. Hierzu wurden multiple hierarchische Poisson-Regressionen unter Kontrolle soziodemographischer Charakteristika sowie sozialer Einflussfaktoren berechnet. In die Analysen der Programmeffekte auf Bullying sowie die Resistenz gegenüber sozialen Einflüssen gingen alle 1.096 Schüler, von denen Ende der dritten und vierten Klasse Daten vorlagen, mit ein. Die Auswertung erfolgte mittels deskriptiver Methoden und Regressionsverfahren. Ergebnisse: Die Teilnahme an Eigenständig werden führte im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer stärkeren Abnahme sowohl externalisierender als auch internalisierender Verhaltensauffälligkeiten (p<0,01). Eine besonders starke Abnahme konnte unter Schülern mit höheren Ausgangswerten hinsichtlich externalisierender Verhaltensauffälligkeiten beobachtet werden (p<0,01). Keine Programmeffekte ergaben sich hinsichtlich der Entwicklung von Lebenskompetenzen (p=0,22). Die Untersuchungen zu Klasse2000 ergaben signifikante Effekte auf den Einstieg in den Zigaretten- als auch den generellen Substanzkonsum, d. h. den Konsum von Zigaretten, Alkohol oder beidem (p=0,031 bzw. p=0,010). Die Number needed to treat wies einen Wert von 28 für den Zigaretten-, und einen Wert von 19 für den generellen Substanzkonsum auf. Hinsichtlich der Rate des Einstiegs in den heimlichen Alkoholkonsum unterschieden sich die Interventions- und die Kontrollgruppe nicht (p=0,092). In den weiterführenden Analysen bezüglich der möglichen Auswirkungen der angestrebten Korrektur rauchbezogener Normen konnte kein Unterschied zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit von Bullying gegenüber rauchenden Mitschülern (p>=0,118), jedoch hinsichtlich der Stärke des Einflusses rauchender Freunde gefunden werden, d. h. in der Interventionsgruppe fiel der Einfluss rauchender Freunde auf den Rauchbeginn der Schüler bedeutsam geringer aus (p<=0,001). Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Studien deuten auf die Effektivität der untersuchten Grundschulprogramme Eigenständig werden und Klasse2000 hin, Vorläufer des späteren (problematischen) Substanzkonsums bedeutsam reduzieren bzw. den Einstieg in den Substanzkonsum zumindest zeitlich verzögern zu können. Zumindest für Klasse2000 bestehen zudem Hinweise, dass das Programm trotz der angestrebten Normenkorrektur hinsichtlich des Rauchens nicht zu einer Zunahme an Bullying führt, jedoch zu einer Erhöhung der Resistenz gegenüber sozialen Einflüssen beitragen kann.
Postoperative Wundinfektionen (surgical site infections: SSI) stellen in Deutschland derzeit die häufigste nosokomiale Infektion dar. In der heutigen Zeit sind die Standards zur Prävention von SSI sehr komplex und effizient. Mit der Absicht der weiteren Reduktion von SSI’s wurde der mikrobielle Hautversiegler InteguSeal® entwickelt. Ergänzend zu den bereits veröffentlichten Studien zur Wirksamkeit des Versieglers untersuchten wir die Haut von 128 Patienten, die sich zu geplanten traumatologischen Eingriffen in der Universitätsmedizin Greifswald einfanden. Die Patienten wurden in zwei Gruppen (Kontrollgruppe und Verumgruppe) aufgeteilt. Wir überprüften Koloniezahlen und Erregerspezies von Wundgrund, Wundrand und Wundnaht im Verlauf von operativen Eingriffen an der Wirbelsäule und an den Extremitäten. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe ohne Versiegleranwendung konnten bei den Patienten, die der Verumgruppe mit Versiegleranwendung angehörten, an allen drei untersuchten Arealen weniger Koloniezahlen detektiert werden. Statistische Signifikanz wurde aber lediglich an der Wundnaht erreicht. Schlussfolgernd konnten wir zwar einen Trend zu Gunsten des sogenannten Sealings herausarbeiten, zur zukünftigen Integration der Versieglertechnik in die Standards zur präoperativen Vorbereitung zwecks Reduktion der Wundkontamination bzw. von Wundinfektionen müssen allerdings weitere Untersuchungen durchgeführt werden.
Mecklenburg-Vorpommern (M-V) ist seit Jahren durch einen erheblichen Bevölkerungsrückgang geprägt. Laut Prognose des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern (2009) muss bis zum Jahr 2030 mit einem Bevölkerungsrückgang um 14,3 %, von derzeit 1,6 Mio. auf etwa 1,45 Mio. Einwohner, gerechnet werden. Im Rahmen einer Studie von Krafczyk & Hoffmann aus dem Jahr 2008 wurde jedoch festgestellt, dass auch die Zahl der Zuzüge nach M-V im Zeitraum von 1995 bis 2005 stabil geblieben ist und in allen Altersgruppen über 55 Jahren die Zahl der Zuzüge die der Fortzüge übersteigt, der Wanderungssaldo folglich positiv ausfällt. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 1.340 Zuwanderern über 55 Jahren zeigten, dass die Beweggründe für den Umzug nach M-V u. a. gesundheitlicher Natur waren (Krafczyk & Hoffmann, 2008). Diese Zuwanderer stellen somit eine attraktive gesundheitswirtschaftliche Ressource für das Bundesland dar. Die Befragung ergab Hinweise auf fehlende Angebote und Angebotsinformationen für den Bereich der gesundheitsorientierten Sport- und Bewegungsangebote, die den Schwerpunkt der folgenden Arbeit darstellen. Die gesundheitsfördernde Wirkung regelmäßiger Bewegung ist unzweifelhaft belegt. Dennoch erreicht nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung das empfohlene Maß körperlicher Aktivität. Dabei gibt es zahlreiche Anbieter von Sportprogrammen. Viele Anbieter haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt dem Gesundheitssport zugewandt. Der Markt an kommerziellen Anbietern, die die gesundheitsbewusste Bevölkerung als Zielgruppe entdeckt haben, wächst stetig. Um die Bevölkerung dauerhaft an Bewegungsangebote zu binden, müssen zielgruppenadäquate Angebote vorliegen. An der Gestaltung entsprechender „Bewegungsverhältnisse“ sind vielfältige Akteure beteiligt: Neben der Politik, deren Aufgabe es ist, den gesetzlichen Rahmen vor allem für die Finanzierung des Sports zu schaffen, haben Krankenkassen und Ärzte eine wichtige Mittlerfunktion, wenn es darum geht, die Bevölkerung zu mehr Bewegung zu motivieren. Die Verantwortung für eine erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen innerhalb des gegebenen Rahmens liegt zuletzt bei den Anbietern von Sportprogrammen. Die folgende Arbeit geht zunächst auf die Bevölkerungsentwicklung sowie auf die Gesundheit der Bevölkerung M-Vs ein. Den konkreten Ansatzpunkt stellen dabei die Zuwanderer dar, die - wie oben beschrieben - eine interessante Ressource für das Bundesland sind und von denen repräsentative Angaben zum Interesse an Sportangeboten vorliegen. Für ein besseres Verständnis der Bedeutung von körperlicher Aktivität müssen Kenntnisse über die positiven Effekte von Bewegung vorhanden sein. Die Arbeit beschäftigt sich deshalb mit diesem Risikofaktor sowie mit Prävalenzen von Risikofaktoren und Erkrankungen, die durch regelmäßige körperliche Aktivität vermieden oder vermindert werden können. Damit verbunden ist eine Zusammenfassung physiologischer Adaptationen. Es werden konkret Sportarten identifiziert, die sich für den Bereich des Gesundheitssports eignen. Anschließend werden Maßnahmen vorgestellt, die der Qualitätssicherung bei gesundheitsorientierten Sport- und Bewegungsangeboten dienen. Die Akteure, die diese Anforderungen letztlich umsetzen müssen, werden in diesem Kontext vorgestellt. Der empirische Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Wünsche und Erwartungen der Zuwanderer in Bezug auf Sport- und Bewegungsangebote erfüllt werden können. Dazu werden drei Themenkomplexe herausgearbeitet: Zunächst wurden vorhandene Daten der Zuwanderer hinsichtlich bewegungs-assoziierter Beeinträchtigungen sowie bezüglich des Nutzungsverhaltens von Sportangeboten analysiert. Des Weiteren wurden gesundheitsorientierte Sport- und Bewegungsangebote in M-V ermittelt und deren Erreichbarkeit durch die Zuwanderer anhand einer geografischen Analyse betrachtet. Schließlich wurden die Inhalte sowie die Qualität der ermittelten Sport- und Bewegungsangebote untersucht. Zusammenfassend verfolgt die Untersuchung das Ziel, die Bedarfssituation auf Seiten der Zuwanderer der Angebotssituation der gesundheitsorientierten Sport- und Bewegungsangebote in M-V gegenüberzustellen. Die geografische Analyse soll die speziellen Herausforderungen eines Flächenlandes hinsichtlich Verkehrsanbindung und möglicher „blinder Flecken“ offen legen. Aus den Ergebnissen sollen Handlungsansätze zur Verbesserung der Angebotsqualität und –quantität abgeleitet und Regionen mit besonderen Bedarfslagen ermittelt werden. Krafczyk, J. & Hoffmann, W. (2008). Zuwanderungsland M-V! Motive, Wünsche und Erwartungen von Zuwanderern und Rückkehrern über 55 Jahre. Abschlussbericht. Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern (2009). 4. Landesprognose (Basisjahr 2006) Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bis 2030. Schwerin: Statistische Berichte.
Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) weisen ein vergleichsweise erhöhtes Risiko für depressive Episoden auf. Es ist anzunehmen, dass diese den Verlauf der Grunderkrankung ungünstig beeinflussen und das Auftreten neuer Krankheitsschübe provozieren können. Durch gezieltes Vorbeugen dieser Episoden könnte positiv Einfluss auf die Grunderkrankung genommen werden. Im Rahmen der vorliegenden, randomisierten Kontrollgruppenstudie wurde ein Gruppenprogramm zur Prävention depressiver Episoden auf Basis der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) für Patienten mit CED adaptiert und durchgeführt. 71 Teilnehmer wurden in die Studie eingeschlossen. Davon wurden 35 in die Interventionsgruppe (IG) und 36 in die Kontrollgruppe (KG) randomisiert. 18 Teilnehmer beendeten die Intervention. Ziel der Studie war es, dieses für CED-Patienten adaptierte Depressionspräventionsmanual hinsichtlich seiner Wirksamkeit zu überprüfen. Der Erfolg der Intervention wurde anhand der Reduktion der Depressivität auf den Ergebnismaßen Allgemeine Depressionsskala (ADS) und Beckschem Depressionsinventar (BDI) zum Zeitpunkt des 12-Monats-follow-ups überprüft. Ein weiteres Ergebnismaß stellte der Inflammatory bowel disease questionnaire (IBDQ-D) stellte dar. Im Anschluss an die Intervention wurde zusätzlich eine Evaluation durchgeführt. Die Gruppenunterschiede auf genannten Messinstrumenten wurden nicht statistisch signifikant. Es ließen sich jedoch kleine Effektstärken (d [BDI] = 0,189; d [ADS] = 0,271]) nachweisen. Im Rahmen der Evaluation zeigte sich innerhalb des Probandenkollektivs eine durchweg positive Resonanz auf die Intervention in Bezug auf unterschiedliche Teilaspekte. Zusätzlich wurde die Wirksamkeit der Intervention unter Berücksichtigung des Geschlechtes überprüft, wobei sich kein signifikanter Unterschied feststellen ließ. Im Rahmen der Nebenergebnisse zeigte sich wiederum kein signifikanter Unterschied der Diagnosegruppen in Bezug auf die Wirksamkeit. Die Verlaufskontrolle der Depressivität unmittelbar nach der Intervention zeigte für die Interventionsteilnehmer eine deutliche Reduktion im prä-post-Vergleich.
Das Teddybärkrankenhaus ist ein weltweites Projekt, welches bei Kindern die Angst vor dem Arzt reduzieren soll und einmal im Jahr durch Medizinstudenten in Greifswald durchgeführt wird. Da es deutschlandweit zuvor noch keine systematische Studien zu diesem Projekt gab, sollte mit dieser Arbeit herausgefunden werden, wie viel Angst die Kinder vor medizinischen Situationen zeigen und ob diese durch einen Besuch im Teddybärkrankenhaus reduziert werden kann. Außerdem wurde der Einfluss verschiedener Faktoren untersucht. Als Instrument wurde ein fünfteiliger Bilderfragebogen entwickelt, bei dem typische Situationen (Abhorchen, Zahnarzt, Kind mit Gipsbein, Spritze, Rettungswagen) dargestellt waren. Die Einschätzung durch die Kinder erfolgte auf einer dreistufigen Teddygesichtsskala. Einige Kinder wurden zusätzlich mit der etablierten „Hospital Fears Rating Scale“ (HFRS) befragt. Insgesamt 569 Kinder aus 18 Kindertagesstätten und einer Schule in Greifswald wurden zwei Wochen vor dem Besuch im Teddybärkrankenhaus interviewt. Unmittelbar nach der Intervention durch das Teddybärkrankenhaus wurden 481 der zuvor befragten Kinder erneut befragt. Die Probanden waren zwischen zwei und acht Jahren alt. „Viel Angst“ gaben die meisten Kinder (40%) beim Item „Spritze“ an. Die meisten Kinder gaben „keine Angst“ beim Item „Abhorchen“ an (82%). Die HFRS und der Bilderfragebogen korrelierten mäßig miteinander. Die Angstausprägung der Kinder wurde im Wesentlichen durch die innerstädtische Lage der Kindertagesstätte beeinflusst, sowie dem Geschlecht des Kindes und der Vorbereitung durch die Erzieher. Der Vergleich der beiden Testzeitpunkte ergab, dass die Angst bei 206 von 481 Kindern reduziert und nur bei 149 vergrößert wurde. Diese Tendenz ist für alle Items zu erkennen, für das Item „Abhorchen“ war die Reduktion der Angst nach dem Besuch im Teddybärkrankenhaus statistisch signifikant. Eine multivariate Regression wurde zur Untersuchung der simultanen Auswirkung aller Einflussfaktoren auf die Angstreduktion durchgeführt. Als wichtigster Einflussfaktor stellte sich die Stärke der angegebenen Angst bei der ersten Befragung heraus. Weitere Einflussfaktoren stellten sich dagegen im multivariaten Modell als nicht signifikant heraus. Die Ergebnisse zeigen, dass das Teddybärkrankenhaus die Angst der Kinder reduziert. Zudem bekommen die Kinder im Vorschulalter die Gelegenheit, sich mit den Themen Krankheit und Gesundheit auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse sprechen insgesamt für eine Ausweitung des Projektes.
Hintergrund:
Geschlecht und Gender sind nicht nebensächlich, sondern spielen eine relevante Rolle in der kindlichen Entwicklung, Erziehung und Gesundheit. Die Diskurse um Geschlecht und Gleichstellung lassen hingegen häufig den durchschnittlichen Reifungsvorsprung der Mädchen außer Acht. Auf diese Weise wird die Kluft zwischen den Geschlechtern bereits im Vorschulalter in beunruhigendem Maße betont. Durch die dichotome Geschlechterperspektive geraten außerdem andere entscheidende Einflussfaktoren wie die soziale und die ethnische Herkunft der Kinder in den Hintergrund. Diese Dissertation setzt den Schwerpunkt daher auf eine angemessene Analyse der Kategorie Geschlecht in ihrer immerwährenden Interaktion mit Anlage und Umwelt.
Methoden:
Die Betrachtungen beruhen auf Daten zu N = 6.447 Kindergartenkindern aus Mecklenburg-Vorpommern (M-V), die im Rahmen der kontrollierten prospektiven Kohortenstudie „Summative Evaluation KiföG M-V“ erhoben wurden. Zur Einschätzung kindlicher Kompetenzen kam das „Dortmunder Entwicklungsscreening für den Kindergarten“ (DESK 3-6) zur Anwendung; weiterhin wurde ein Elternfragebogen zur Erhebung des Sozialstatus eingesetzt. Auf der Grundlage geschlechtsinsensibler Normen erfolgte die Ermittlung kompetenzspezifischer Geschlechtsunterschiede in Abhängigkeit vom Kindesalter, vom Bildungshintergrund und vom Migrationsstatus. Geschlechtsspezifische Normen fanden anschließend Anwendung für die erneute Errechnung der Screeningbefunde von n = 4.251 Kindern im Alter von 48 bis 83 Monaten. Das Effektstärkemaß Cohen’s d diente dabei der Beurteilung der praktischen Relevanz der Geschlechterdifferenzen.
Ergebnisse:
Unter Anwendung der geschlechtsinsensiblen Gesamtnormen schnitten die Jungen jeden Alters schlechter ab – in allen Entwicklungsbereichen und unabhängig vom Kindesalter, vom Bildungshintergrund und vom Migrationsstatus manifestierten sich stets Geschlechtsunterschiede zugunsten der Mädchen. Diese Differenzen vergrößerten sich meist mit zunehmendem Alter und waren stellenweise stärker ausgeprägt bei Kindern aus bildungsnahen Elternhäusern bzw. bei Kindern nicht-deutscher Nationalität. Analysen auf der Grundlage geschlechtsspezifischer Normen ergaben allerdings ein andersartiges, buntes Bild und keine konsistenten Vorteile für ein Geschlecht: Die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen waren alles in allem nicht pädagogisch und praktisch bedeutsam, die Stärken und Schwächen geschlechtstypisch, aber nicht geschlechtsspezifisch verteilt. Die Berücksichtigung geschlechtsbedingter Besonderheiten hatte auch auf die Ermittlung von Entwicklungsrisiken im feinmotorischen und im psychosozialen Bereich einen Einfluss: Die Prävalenzraten wurden dabei durch die geschlechtsinsensiblen Normen für Mädchen mehrheitlich unterschätzt, für Jungen überschätzt.
Schlussfolgerungen:
Die besondere Beachtung geschlechtsspezifischer Entwicklungsaufgaben und Entwicklungsbedingungen entschärft einerseits die „Jungenkrise“ und ermöglicht andererseits eine erweiterte, eine biopsychosoziale Perspektive: Die Unterschiede in den Lernwelten und Lebenswegen von Mädchen und Jungen sind nicht monokausal, sondern multidimensional zu erklären. Statt die Geschlechter gegeneinander auszuspielen, sollte deshalb das Augenmerk auf der Koexistenz von Stärken und Schwächen innerhalb der Geschlechter liegen. Differenzierungen und Diversitäten müssen dringend den Platz von Pauschalisierungen einnehmen, um Behinderungen durch Begriffe und Bilder von Geschlecht gewissenhaft zu umgehen und in angemessener Art und Weise auf ethnische und soziale Herkunft Rücksicht zu nehmen. Im Sinne der Strategien des „Gender Mainstreaming“ und „Managing Diversity“ werden so intersektionale, interdisziplinäre Maßnahmen für mehr Chancengleichheit ins Rollen gebracht. Für frühzeitige Förderung und Frühintervention erscheint entsprechend ein Fokus auf Fähigkeiten und Fertigkeiten statt allein auf Geschlecht und Gender vielversprechend. Kompetenzspezifische, kompensatorische, kultursensible Präventionsansätze bieten die beste Chance, bereits bei Kindergartenkindern die Divergenzen nicht nur im Hinblick auf Geschlecht und Gender, sondern auch auf Ethnizität und Milieu zu verringern.