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Einhergehend mit dem Zuwachs an bildgebenden Befunden, die auf Dysfunktionen in komplexen kortikalen Netzwerken bei Personen mit ADHS hinweisen, gewannen auch störungsspezifische Modelle der ADHS zunehmend an Komplexität. Während frühe Modelle spezifische Kerndefizite, insbesondere ein kognitives und motorisches Inhibitionsdefizit, als ursächlich annahmen (Barkley, 1997; Quay, 1997), sehen aktuelle Theorien die ADHS nicht singulär determiniert, sondern durch mehrere Faktoren bedingt. Neben exekutiven Dysfunktionen betonen sie auch die Bedeutsamkeit von motivationalen Prozessen am Zustandekommen des klinischen Phänotyps (Nigg & Casey, 2005; Sagvolden, Johansen, Aaase, & Russell, 2005; Sergeant, 2000; Sonuga-Barke, 2002). Eines dieser Modelle, die Verzögerungsaversions-Hypothese, die im Laufe der Jahre zu einem umfassenden theoretischen Erklärungsmodell der ADHS weiterentwickelt wurde (Dual Pathway Model; Sonuga-Barke, 2002; 2005), geht davon aus, dass Kinder mit ADHS gegenüber nicht von ADHS betroffenen Kindern über einen stärker ausgeprägten motivationalen Stil verfügen, Verzögerungen in Handlungsabläufen bewusst zu vermeiden und möglichst unmittelbare Handlungskonsequenzen zu bevorzugen, um aversive Zustände des Wartens zu vermeiden. Ein erhöhtes Ausmaß an Verzögerungsaversion wurde seit der Formulierung dieser Hypothese bei Kindern mit ADHS in einer Vielzahl von Studien nachgewiesen. An die Verzögerungsaversions-Hypothese anknüpfend beschäftigt sich die vorliegende Arbeit sich mit den Fragestellungen, ob Verzögerungsaversion lediglich ein Phänomen des Kindes- und Jugendalters darstellt, oder ob es sich auch bei Erwachsenen mit ADHS manifestiert (Marx et al., 2010), wie spezifisch Verzögerungsaversion für das Störungsbild der ADHS gegenüber anderen psychischen Störungsbildern ist (Vloet et al., 2010; Wilhelm et al., 2011) und inwiefern externe Anreize im Sinne moderierender Faktoren geeignet sind, das auf der Verhaltensebene gezeigte Ausmaß an Verzögerungsaversion positiv zu beeinflussen, d. h. es zu mildern oder möglicherweise sogar zu nivellieren (Marx et al., 2011; 2013). Die Ergebnisse dieser Arbeit belegen, dass Verzögerungsaversion ein zeitlich überdauerndes motivationales Defizit darstellt, welches nicht allein bei Kindern, sondern altersinvariant auch bei Erwachsenen mit ADHS auftritt (Marx et al., 2010; 2013). Dieses Defizit kann jedoch durch motivationale Anreize positiv beeinflusst werden. So können antizipierte finanzielle Belohnungen und subjektiv hoch bedeutsame, nicht finanzielle positive und negative Verhaltenskonsequenzen das gegenüber Kontrollpersonen erhöhte Ausmaß an Verzögerungsaversion mindern und sogar ausgleichen (Marx et al., 2011; 2013). Hinsichtlich der Spezifität von Verzögerungsaversion für das Störungsbild der ADHS konnte eine Abgrenzung gegenüber der Zwangsstörung gezeigt werden (Vloet et al., 2010), eine ätiopathologische Differenzierung von Essstörungen gelang hingegen nicht (Wilhelm et al., 2011). Die Befunde der vorliegenden Arbeit weisen wichtige Implikationen für die theoretische Modellbildung auf, indem sie den Geltungsbereich des Dual Pathway-Modells der ADHS (Sonuga-Barke, 2002) auf das Erwachsenenalter ausweiten und eine Verbindung zwischen dem exekutiven und dem motivationalen Pfad des Modells schaffen, die durch Moderatoreffekte generiert wird: In Abhängigkeit von der subjektiven Valenz antizipierter Verstärker scheint eine verstärkte exekutive Kontrolle motivationaler Funktionen stattzufinden, die Personen mit ADHS dazu bewegt, trotz verzögerungsreicher Kontexte möglichst optimale Leistungsergebnisse zu erzielen. Ferner lässt sich aus der vorliegenden Arbeit ein therapeutischer Nutzen ableiten: Während die Verzögerungsaversions-Hypothese davon ausgeht, dass das auf der Verhaltensebene mit Verzögerungsaversion assoziierte dysfunktionale Verhalten von Kindern mit ADHS in verzögerungsreichen Kontexten durch die häufige und unmittelbare Belohnung funktionalen Verhaltens positiv beeinflusst werden kann (Sagvolden et al., 2005), lassen die aktuellen Ergebnisse (Marx et al., 2011) vermuten, dass eine unmittelbare Verstärkung erwünschten Verhaltens nicht zwangsläufig immer notwendig ist, sondern dass auch längere Zeitintervalle überbrückt werden können, wenn die antizipierte Belohnung eine hohe subjektive Relevanz aufweist.