Refine
Document Type
- Doctoral Thesis (2)
Language
- German (2) (remove)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
Keywords
- Gastroretention (2) (remove)
Institute
Untersuchungen zum Mechanismus der oralen Absorption von Trospiumchlorid an gesunden Probanden
(2017)
In Deutschland leiden ca. 15 % der über 40-jährigen am Syndrom der überaktiven Blase (overactive bladder, OAB), welches durch plötzlich auftretenden, nicht aufhaltbaren Harndrang definiert wird. Trospiumchlorid (TC) ist ein kationischer, wasserlöslicher, antimuskarinerger Arzneistoff mit einer stark variablen Bioverfügbarkeit von ca. 10 %, der häufig zur Behandlung der OAB eingesetzt wird. Aufgrund seiner quartären Ammoniumstruktur überwindet er die Hirnschranke nicht und löst somit keine kognitiven Nebenwirkungen aus, was einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Anticholinergika darstellt. Zielsetzung dieser Arbeit war die Optimierung seines schlechten oralen Absorptionsverhaltens.
TC überwindet die Enterozytenmembran als Substrat des Efflux-Carriers P-glycoprotein (P-gp) und des Aufnahmetransporters organic cation transporter 1 (OCT1). Durch die geringe Expression von P-gp in den proximalen Dünndarmabschnitten und einer gleichmäßigen Expression von OCT1 im gesamten Darm vermuteten wir ein „Absorptionsfenster“ für TC in diesem proximalen Dünndarmareal.
In zwei nach ähnlichem Design durchgeführten kontrollierten, randomisierten, cross-over Studien der Phase I versuchten wir dieses vermutete „Absorptionsfenster“ mit der Simulation gastroretentiver Darreichungsformen für TC gezielt zu bedienen. Das TC sollte dabei mit Hilfe der Antrum-Motilität über einen längeren Zeitraum, in portionierten Mengen aus dem Magen in den Dünndarm befördert werden. In der offenen, vier-armigen GI-Studie (gastric infusion) benutzten wir dafür eine Magensonde über die 30 mg in Wasser gelöstes TC in einem Zeitraum von 6 h in den Magen infundiert wurden (GI). Im Vergleich dazu stand die orale Einnahme einer 30 mg schnell freisetzenden TC-Filmtablette (immediate release, IR). Die Applikationen erfolgten jeweils im nüchternen Zustand (fasted) und nach dem Verzehr einer standardisierten fettreichen Mahlzeit (FDA; fed).
In der NaHCO3-Studie (Natriumbikarbonat) simulierten wir unter Ausnutzung der verzögerten Magenentleerung nach Verzehr einer fettreichen Mahlzeit eine physiologische Form der gastroretentiven Darreichung von TC. Durch Zugabe einer NaHCO3-Kapsel zu TC (IR-TC + NaHCO3) als Brausesubstanz in Kontakt mit Magensäure, sollte TC gleichmäßig mit dem Mageninhalt vermischt werden, um interindividuelle Unterschiede in der TC-Bioverfügbarkeit zu verringern. Im Vergleich standen die intravenöse Gabe von TC (IV-TC) und die Komedikation eines NaHCO3-Placebos (IR-TC + NaHCO3-Placebo).
Die geplanten Ansätze zur Verbesserung des Absorptionsverhaltens von TC gelangen in beiden Studien leider nicht.
Mit Hilfe von pharmakokinetischem modelling der aus der GI-Studie gewonnenen Daten, postulierten wir mögliche Gründe. So fanden wir heraus, dass es im menschlichen Darm zwei „Absorptionsfenster“ für TC geben muss. Ein schmaleres mit geringerer Permeabilität im Jejunum und ein breiteres mit höherer Permeabilität im Caecum/Colon ascendens. Ursächlich hierfür könnten die lokale Häufigkeit und das Wechselspiel der in diesen Arealen vorkommenden Transportproteine P-gp und OCT1 sein. Der Versuch durch Gastroretention ein proximales „Absorptionsfenster“ zu bedienen erwies sich daher nach pharmakokinetischer Modellanalyse als Fehlkonzept. In zukünftigen Studien sollten weitere Darreichungsformen erprobt werden, die insbesondere auf eine Freisetzung des TCs im zweiten „Absorptionsfenster“ mit einer höheren Permeabilität für TC abzielen.
Die Verlängerung des Aufenthalts einer Arzneiform im Magen kann enorme Vorteile insbesondere für Arzneistoffe mit einem Absorptionsfenster im oberen Dünndarm oder schlechter Bioverfügbarkeit bieten. Bei gleichzeitig kontrollierter Freisetzung eines enthaltenen Wirkstoffs können Plasmaspitzen und Fluktuationen im Blutplasma vermieden werden. Ziel der Arbeit war die Entwicklung und Charakterisierung solcher potentiell gastroretentiver Darreichungsformen in vitro und in vivo. Der Hauptteil der Arbeit umfasste die Entwicklung einer neuartigen Arzneiform, die bei nüchterner und postprandialer Gabe eine zuverlässige Gastroretention über mehrere Stunden zeigen und den Wirkstoff kontrolliert im Magen freigeben sollte. Das System bestand aus einer wirkstoffhaltigen Kerntablette und einem den Kern umgebenden, quellenden Mantel, welcher durch Expansion die angestrebte Gastroretention ermöglichen sollte. Im Rahmen der Formulierungsentwicklung erwies sich die Mischung aus einem hoch- und niedrigmolekularen Polyethylenoxid als geeignet für die Kontrolle der Wirkstofffreisetzung aus dem Kern. Die Ergänzung wasserlöslicher, osmotischer Hilfsstoffe ermöglichte eine weitgehend pH-unabhängige und vollständige Wirkstofffreigabe. In vitro-Quellungsstudien mit den entwickelten Manteltabletten ergaben eine schnelle und ausgeprägte Größenzunahme bei Testung in einfachen Freisetzungsmedien. Zur Prüfung des tatsächlichen gastroretentiven Potentials der entwickelten Manteltabletten mit dem Diuretikum Furosemid wurde eine Magnetic Marker Monitoring (MMM)-Studie durchgeführt. Das MMM basiert auf der magnetischen Markierung einer Arzneiform und der Bestimmung ihrer Lokalisation im Gastrointestinaltrakt mittels empfindlicher Sensoren. Nach Nüchterneinnahme wurden die Manteltabletten innerhalb von 38 ± 12 min aus dem Magen der Probanden entleert. Bei Applikation der Manteltabletten nach Einnahme einer hochkalorischen, standardisierten Mahlzeit konnte eine durchschnittliche Gastroretentionszeit von 8 ± 3 h erzielt werden. Die AUC(0-24 h) konnte im Studienarm mit Nahrung im Vergleich zur Nüchterneinnahme von 89 ± 56 ng·h/mL auf 708 ± 304 ng·h/mL gesteigert werden. Weiterhin wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein neuartiges mechanisches Antrummodell entwickelt, mit dem der Einfluss antraler Kontraktionswellen auf die Tendenz zur Entleerung von Objekten untersucht wurde. Große, starre Objekte wie eine Glaskugel wurden aufgrund ihrer geringen Reibung vor der Welle hergeschoben und aus dem Modell entleert. Auch die reibungsverminderte Oberfläche eines Cryogel-Schaums erhöhte die Tendenz zur Entleerung aus dem Modell. Vielversprechend war dagegen die unter allen variablen Testbedingungen beobachtete Gastroretention eines Trichobezoars. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass weiterhin eine große Herausforderung in der Entwicklung von Arzneiformen besteht, die eine nachweisliche Gastroretention beim Menschen in Abwesenheit von Nahrung zeigen.