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Objektive Eingruppierung sequenzierter Tollwutisolate mithilfe des Affinity Propagation Clusterings.
(2018)
Das International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) reguliert die Nomenklatur von Viren sowie die Entstehung neuer Taxa (dazu gehören: Ordnung, Familie, Unterfamilie, Gattung und Art/Spezies). Dank dieser Anstrengungen ist die Einteilung für verschiedenste Viren in diese Kategorien klar und transparent nachvollziehbar. In den vergangenen Jahrzehnten sind insgesamt mehr als 21.000 Datensätze der Spezies „rabies lyssavirus“ (RABV) sequenziert worden. Eine weiterführende Unterteilung der sequenzierten Virusisolate dieser Spezies ist bislang jedoch nicht einheitlich vorgeschlagen. Die große Anzahl an sequenzierten Isolaten führte auf Basis von phylogenetischen Bäumen zu uneindeutigen Ergebnissen bei der Einteilung in Cluster. Inhalt meiner Dissertation ist daher ein Vorschlag, diese Problematik mit der Anwendung einer partitionierenden Clusteringmethode zu lösen. Dazu habe ich erstmals die Methodik des affinity propagation clustering (AP) für solche Fragestellungen eingesetzt. Als Datensatz wurden alle verfügbaren sequenzierten Vollgenomisolate der Spezies RABV analysiert. Die Analysen des Datensatzes ergaben vier Hauptcluster, die sich geographisch separieren ließen und entsprechend als „Arctic“, „Cosmopolitain“, „Asian“ und „New World“ bezeichnet wurden. Weiterführende Analysen erlaubten auch eine weitere Aufteilung dieser Hauptcluster in 12-13 Untercluster. Zusätzlich konnte ich einen Workflow generieren, der die Möglichkeit bietet, die mittels AP definierten Cluster mit den Ergebnissen der phylogenetischen Auswertungen zu kombinieren. Somit lassen sich sowohl Verwandtschaftsverhältnisse erkennen als auch eine objektive Clustereinteilung vornehmen. Dies könnte auch ein möglicher Analyseweg für weitere Virusspezies oder andere vergleichende Sequenzanalysen sein.
Molekular-epidemiologische Untersuchungen veterinärmedizinisch relevanter Pathogene beruhen auf der Auswertung und Einordnung verlässlicher und detailreicher Sequenzinformationen. In den letzten Jahren haben sich die Sequenziermethoden des sogenannten Next-Generation Sequencing (NGS) kontinuierlich weiterentwickelt, so dass nun Nukleinsäureproben unterschiedlichster Herkunft zur Volllängensequenzierung viraler Genome herangezogen werden können. Des Weiteren sind Metagenomanalysen möglich geworden, d.h. die Untersuchung der Zusammensetzung der Organismenpopulation in einer Probe durch Sequenzierung der gesamten Nukleinsäurepopulation. Letzteres erlaubt auch die Untersuchung viraler Varianten in einer Probe (Quasispeziesanalysen). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden NGS-Methoden und Arbeitsabläufe zur Ausnutzung metagenomischer Datensätze optimiert, verfeinert und nachfolgend in praxisrelevanten Studien zu Lyssa- und Coronaviren erprobt. In einer ersten Studie zur Charakterisierung des neu entdeckten Bokeloh Fledermaus-Lyssavirus konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, akkurate Volllängensequenzinformationen direkt aus Zellkulturüberständen zu generieren, die nicht nur die mittels der klassischen Kettenabbruch-Synthese generierten Daten bestätigen, sondern darüber hinaus auch virale Varianten aufzeigen. Eine detaillierte, hochauflösende Variantenanalyse (Tiefensequenzierung) lag im Fokus einer weiteren Studie zu Lyssaviren. Hier wurden kommerzielle Oralimpfstoffe gegen die Tollwut und ihre Ausgangsvirusstämme hinsichtlich ihrer Quasispezieszusammensetzung untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass die Tiefensequenzierung einen wichtigen Beitrag zur Qualitätskontrolle (Stammidentität und -stabilität) eines Lebendimpfstoffes liefern kann, der in den Lizensierungsprozess eingebunden werden könnte. Dabei ist die Analyse auf Ebene der viralen Gesamtpopulation der Auswertung auf Konsensusebene überlegen. Metagenomische Datensätze erlauben nicht nur die Analyse viraler Populationen, es sind auch Wirtsinformationen ableitbar. Die kombinierte Auswertung viraler und wirtsspezifischer Informationen erlaubte eine phylogeographische Studie zur genetischen Diversität arktischer Tollwutviren und ihrer Reservoirwirte. Die Methode konnte erfolgreich angewendet werden um zu zeigen, dass es zwar eine räumliche Populationsstruktur bei den untersuchten Polarfüchsen gibt, diese jedoch nicht mit unabhängigen Tollwutvirusvarianten assoziiert werden können. Neben den oben genannten Lyssavirusprojekten waren zwei Studien zum Virus der porzinen epidemischen Diarrhoe Teil der vorliegenden Arbeit. Metagenomische Datensätze wurden verwendet, um Volllängensequenzen abzuleiten und diese phylogenetischen Detailanalysen und Netzwerk-Untersuchungen zu unterziehen. Außerdem konnten die Datensätze verwendet werden, um virale und bakterielle Koinfektionen zu untersuchen, die möglicherweise einen Einfluss auf die Schwere der Erkrankung gehabt haben könnten. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass uns die optimierten NGS-Methoden in die Lage versetzen, metagenomische Datensätze zu nutzen, um nicht nur unverfälschte Volllängensequenzen für phylogenetische Detailanalysen zu generieren, sondern auch Quasispezies-Analysen durchzuführen sowie Wirts- und Virusfaktoren vergleichend zu untersuchen.
Das Wissen über fledermausassoziierte Lyssaviren in Hinblick auf die Diversität, Abundanz, geographische Verbreitung, Wirtsspezifität, Pathogenität und mögliche Übertragungswege ist lückenhaft. In Europa wird zur Überwachung der Fledermaustollwut die Untersuchung von moribunden oder toten Tieren (passive Surveillance) und/oder die Beprobung von freilebenden Fledermauspopulationen (aktive Surveillance) empfohlen. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den derzeitigen Kenntnisstand zum Vorkommen von fledermausassoziierten Lyssaviren in Deutschland zu erweitern und mit Daten anderer europäischer Länder zu vergleichen. Die Untersuchungen stützten sich dabei auf drei Teilprojekte: 1) Die initiale Statuserhebung und Analyse der Fledermaustollwut-Surveillance in Europa hat gezeigt, dass trotz internationaler Empfehlungen die Tollwut-Überwachung bei Fledermäusen uneinheitlich durchgeführt wird. Diese Unterschiede sind unter anderem die Folge (i) fehlender Zusammenarbeit zwischen Fledermausbiologen und Veterinär- sowie Gesundheitsbehörden, (ii) fehlender Netzwerke von Fledermaussachverständigen, (iii) länderspezifischer Regelungen, aber auch (iv) fehlenden Bewusstseins sowie Kenntnisstandes für die Fledermaustollwut in der Bevölkerung. 2) In Deutschland wurde zusätzlich zur Tollwut-Routinediagnostik eine intensivierte passive Tollwut-Surveillance (retrospektive Studie, 1998 – 2013) durchgeführt, bei der 5478 Tiere aus insgesamt 21 einheimischen Arten akquiriert und auf das Vorliegen einer Lyssavirusinfektion untersucht wurden. Insgesamt konnten 52 EBLV-1 Infektionen (E. serotinus (n=49), P. pipistrellus, P. nathusii, Pl. auritus) sowie drei EBLV-2 Infektionen (M. daubentonii) diagnostiziert werden. Die Untersuchungen verdeutlichen, dass diese retrospektive Studie im Vergleich zur Routinediagnostik entscheidende Vorteile in Bezug auf den Stichprobenumfang, das Artenspektrum sowie die Fehlerfreiheit von artbezogenen biologischen und epidemiologischen Daten und somit entscheidende Voraussetzungen für eine gezielte Risikobewertung einer potentiellen Gesundheitsgefährdung des Menschen durch fledermausassoziierte Lyssaviren bietet. 3) Im Rahmen der aktiven Tollwut-Surveillance (1998 – 2012) erfolgte an 42 Standorten in Deutschland die Beprobung von Fledermauspopulationen. Es wurden 4546 Maultupfer- und 1226 Serumproben von 18 Fledermausspezies untersucht. EBLV-1-spezifische RNA wurde in Maultupfern von fünf Breitflügelfledermäusen, einer Fransen- und einer Mopsfledermaus detektiert. In dieser Arbeit konnte erstmalig EBLV-1 aus einer RT-PCR-positiven Maultupferprobe von einer scheinbar gesunden Breitflügelfledermaus isoliert werden. Bei der serologischen Testung von Serumproben gegen EBLV-1 wurden virus-neutralisierende Antikörper in acht verschiedenen Spezies festgestellt, wobei hauptsächlich Seren von Breitflügelfledermäusen höhere Titer aufwiesen. Ein Vergleich von Ergebnissen verschiedener Sero-Surveillance-Studien ist durch das Fehlen standardisierter Testverfahren und durch kreuzneutralisierende Antikörper gegenüber Lyssaviren gleicher Phylogruppen kaum möglich. Die Daten der aktiven Surveillance liefern im Gegensatz zur passiven Surveillance nur begrenzte Erkenntnisse zum Vorkommen, der Prävalenz und Dynamik von Fledermaustollwut in einheimischen Fledermauspopulationen. Die Form der intensivierten passiven Surveillance sollte daher als Standard für eine zukünftige Surveillance der Fledermaustollwut in Deutschland und anderen europäischen Ländern betrachtet werden. Darüber hinaus wurde bei natürlich infizierten Fledermäusen (E. serotinus, M. daubentonii, P. nathusii) die Virusverteilung und -last in Geweben verschiedener Organe unter dem Aspekt möglicher Ausscheidungswege untersucht. Virus-spezifische RNA wurde in allen untersuchten Organen nachgewiesen; bedingt durch die neurotropen Eigenschaften der Lyssaviren wurde die höchste Viruslast im Gehirn festgestellt. Signifikant hohe Viruslasten waren zudem in der Speichel¬drüse nachweisbar. Zusätzlich zur Speicheldrüse scheint die Zunge ein Organ zu sein, in dem Virusreplikation und -ausscheidung stattfindet, da in verschiedenen zellulären Strukturen des Zungengewebes Lyssavirusantigen bzw. virale RNA histologisch nachgewiesen wurden. Die Ausscheidung und Übertragung von fledermausassoziierten Lyssaviren über den Harntrakt oder die Atemwege ist wissenschaftlich umstritten und konnte in dieser Studie immunhistochemisch nicht bestätigt werden.
Lyssavirus Matrixproteine (M) sind essentielle Komponenten im Virus-Assembly. Zusätzliche Virus RNA-Synthese regulierende und wirtszellmanipulierende Funktionen machen das M Protein zu einem zentralen Faktor der wirtszellabhängigen Virusreplikation und Pathogenese im infizierten Organismus. Damit könnte das M Protein einen wesentlichen Faktor bei der Anpassung von Lyssaviren an bestimmte Wirtsspezies darstellen und als Pathogenitätsdeterminante die spezifische Virulenz unterschiedlicher Lyssavirus Isolate begründen. Inwieweit Lyssavirus M Proteine sich tatsächlich in grundlegenden Funktionen der Virusreplikation und Wirtszellmanipulation unterscheiden, ist bisher nur unzureichend geklärt. Hier wurden M Proteine aus einem attenuierten Rabies Virus Stamm (RABV M) und aus einem fledermausassoziierten Lyssavirus (Europäische Fledermaus Lyssavirus Typ 1; EBLV 1 M) hinsichtlich funktioneller Unterschiede im Virus-Assembly und ihrer intrazellulären Lokalisation in virusinfizierten Zellen verglichen. Zusätzlich wurde durch die gezielte Insertion von Mutationen in das RABV M Protein ein stark attenuiertes RABV generiert, das eine wichtige Grundlage für die weitere Erforschung M abhängiger Mechanismen der Pathogenese und Viruseliminierung aus dem zentralen Nervensystem (ZNS) darstellt. Tatsächlich wurden mit chimären RABV M und EBLV 1 M exprimierenden Viren M abhängige Unterschiede in der Virusmorphogenese bestätigt. Eine RABV M abhängige Akkumulierung von Viruspartikel-ähnlichen Strukturen im rauen Endoplasmatischen Retikulum (rER) wurde mit der Kombination unterschiedlicher RABV und EBLV 1 M Sequenzen auf fünf C terminale Aminosäuren an den Positionen 187, 190, 192, 196 und 197 eingegrenzt. Mit der Identifizierung dieser Positionen konnte postulierte werden, dass es sich bei den beobachteten ultrastrukturellen Unterschieden nicht um Virusspezies sondern um Isolat-spezifische Unterschiede handelt, die möglicherweise einen Einfluss auf in vivo Virusreplikation und Pathogenese haben. Die vergleichende fluoreszenzmikroskopische Analyse infizierter Zellen zeigte, dass EBLV 1 M Protein im Gegensatz zum RABV M Protein an Membranen des Golgi-Apparates akkumulierte. Im Gegensatz zur Akkumulierung von Viruspartikel-ähnlichen Strukturen im rER konnte die EBLV 1 M spezifische Golgi-Apparat Lokalisation nicht auf einzelne Bereiche des M Proteins eingegrenzt werden, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass hier die Integrität des gesamten EBLV 1 M Proteins notwendig ist. Erstmals wurden Lyssavirus M Proteine in viralen Einschlusskörpern und Zellkernen infizierter Zellen nachgewiesen. Während die Präsenz in den Einschlusskörpern ein wichtiges Element bei der Erforschung RNA-Synthese regulativer M Funktionen darstellt, können mit dem Nachweis von Lyssavirus M Proteinen im Zellkern wirtszellmanipulierende Funktionen auf nukleärer Ebene postuliert werden. Neben dem Nachweis der Proteine im Nukleus wurde mit fluoreszenzmarkiertem M Protein gezeigt, dass die Kernmembran eine Diffusionsbarriere für das M Protein darstellt und dass ein aktiver Transport in den Zellkern stattfinden muss. Zusammenfassend werden mit dieser Arbeit wichtige Erkenntnisse zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Lyssavirus M Proteinen bezüglich Virusmorphogenese und wirtszellmanipulierender M Funktionen vorgelegt, die das aktuelle Verständnis der Lyssavirus Replikation vertiefen und weiterführende Arbeiten zu molekularen Mechanismen der Virusreplikation und Pathogenese ermöglichen.