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Ziel dieser Arbeit war es, die Zusammenhänge zwischen der Identifikation mit der Gruppe der psychisch Kranken, den eigenen stigmatisierenden Haltungen und der Selbststigmatisierung der Patienten bei Aufnahme in eine psychiatrische Klinik und deren Veränderung im Verlauf des Aufenthaltes zu untersuchen. Dazu wurden 70 Patienten auf Psychotherapiestationen und in Tageskliniken kurz nach Aufnahme und nach vier Wochen Aufenthalt in der Klinik anhand von Fragebögen befragt. Die Hypothese, dass mit längerer Behandlung eine stärkere Identifikation mit der Gruppe der psychisch Kranken stattfindet, über positive Vergleiche der In-Group gegenüber der Out-Group stigmatisierende Haltungen psychisch Kranken gegenüber abgebaut und Selbststigmatisierung damit verringert werden kann, ließ sich nicht bestätigen. Stattdessen zeigte sich, dass mit Dauer der Behandlung die Identifikation mit der Gruppe tendenziell abnahm, die eigenen stigmatisierenden Haltungen eher zunahmen und die Selbststigmatisierung dennoch eher abnahm.
Die erste Hypothese, die besagte, dass sich Patienten mit höheren eigenen stigmatisierenden Haltungen auch stärker selbst stigmatisieren, wenn sie sich mit der Gruppe der psychisch Kranken identifizieren, ließ sich zum Teil bestätigen, musste aber präzisiert werden: Patienten, die negativen Stereotypen gegenüber psychisch Kranken zustimmen, stigmatisieren sich selbst stärker; der Drang nach Abgrenzung von psychisch Kranken hat keinen Einfluss auf die Selbststigmatisierung. Patienten, die sich mit der Gruppe der psychisch Kranken identifi-zieren, stigmatisieren sich stärker.
Auch die zweite Hypothese, der zufolge sich Patienten mit stärkeren stigmatisierenden Hal-tungen weniger mit der Gruppe der psychisch Kranken identifizieren, konnte zum Teil bestä-tigt werden, musste jedoch ebenso präzisiert werden: Patienten, deren stigmatisierende Hal-tungen sich im Wunsch nach Abgrenzung von anderen psychisch Kranken äußern, identifizie-ren sich weniger mit der Gruppe der psychisch Kranken. Ob die Patienten gängigen negati-ven Stereotypen über psychisch Kranke zustimmen, beeinflusst nicht ihre Identifikation mit der Gruppe.
Die dritte Hypothese, die besagt, dass die Identifikation mit der Gruppe der psychisch Kran-ken über einen vierwöchigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik zunimmt, ließ sich nicht bestätigen. Die Identifikation mit der Gruppe nahm tendenziell eher ab, bei Patienten mit ein bis fünf Voraufenthalten signifikant ab.
Die vierte Hypothese, nach der eine erhöhte Gruppenidentifikation einen negativen Einfluss auf das eigene Stigma hat, die stigmatisierenden Haltungen gegenüber psychisch Kranken im Verlauf abnehmen und damit auch die Selbststigmatisierung abnimmt, ließ sich ebenso teil-weise bestätigen, doch auch hier muss differenziert werden: Patienten, die sich weniger mit der Gruppe der psychisch Kranken identifizieren, haben einen höheren Drang nach Abgren-zung von psychisch Kranken. Dies beeinflusst nicht, ob sie negativen Stereotypen über psy-chisch Kranke zustimmen. Die soziale Distanz, der Drang nach Abgrenzung von psychisch Kranken, nimmt im Verlauf zu; die Zustimmung zu negativen Stereotypen ändert sich unwe-sentlich. Die Selbststigmatisierung nimmt eher ab, bei Patienten mit ein bis fünf Voraufenthal-ten signifikant ab. Die Veränderung der Zustimmung zu negativen Stereotypen korreliert mit der Zunahme der Selbststigmatisierung, obwohl die Zustimmung zu negativen Stereotypen nicht signifikant zunimmt.
Eine entstigmatisierende Wirkung ist durch das therapeutische Milieu im stationären und teil-stationären Bereich also nicht eindeutig zu verzeichnen. Vielmehr zeigt sich, dass der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik Abgrenzungsprozesse gegenüber anderen Betroffenen in Gang setzt, die eine Zunahme von Selbststigmatisierung verhindern können.