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Die Verlängerung des Magenaufenthalts von oralen Arzneiformen steht seit mehr als 30 Jahren im Fokus internationaler Forschungsgruppen. Trotz der Vermarktung diverser Systeme gelang es bislang nicht, eine sichere und reproduzierbare Gastroretention von Arzneiformen zu realisieren. Dies würde jedoch enorme Möglichkeiten für die Therapie mit oral applizierten Arzneimitteln mit sich bringen. Die Reduktion der Einnahmefrequenz, das Vermeiden von Plasmaspiegelspitzen sowie die gesteigerte Patientenadhärenz sind nur einige der denkbaren Vorteile. Die größte Hürde gastroretentiver Systeme ist dabei die Motilität des menschlichen Magens. Starke Kontraktionswellen sind für eine rasche Entleerung insbesondere unter Nüchternbedingungen verantwortlich. Daneben kommt es zu höchsten Belastungen auf Arzneiformen, was wiederum die Wirkstofffreisetzung beschleunigen kann, mit drastischen Folgen für den Patienten. In der präklinischen Testung neu entwickelter Systeme fehlt häufig der Bezug zur Physiologie des Magens und die Vorhersagekraft von Freisetzungstests ist dementsprechend gering. Ziel der Arbeit war daher die Charakterisierung der relevanten Parameter im Magen im Rahmen einer Humanstudie. Die aus dieser Humanstudie gewonnenen Daten zu pH-Werten, Temperaturen und insbesondere Drücken im Magen sollten anschließend genutzt werden, um die im Arbeitskreis verfügbaren, biorelevanten Freisetzungsmodelle weiterzuentwickeln. Abschließend sollten verschiedene, kommerziell erhältliche gastroretentive Arzneiformen unter Berücksichtigung der Magenphysiologie auf ihr Freisetzungsverhalten getestet werden. Die Ergebnisse der Humanstudie zeigten die enorme Abhängigkeit der Magenaufenthaltszeit einer telemetrischen Kapsel vom prandialen Status der Probanden. Nach Einnahme der Standardmahlzeit, wie sie in klinischen Studien zu Nahrungsmitteleffekten Verwendung findet, kam es zu Magentransitzeiten von über 20 h. Dagegen wurde die Kapsel unter Nüchternbedingungen spätestens nach 2,7 h aus dem Magen entleert. Die intragastralen Drücke nach postprandialer Einnahme der Kapsel betrugen mindestens 240 mbar und waren aufgrund des verlängerten Magenaufenthalts deutlich zahlreicher im Vergleich zur Nüchterneinnahme. Die Ergebnisse der In vitro-Untersuchungen zeigten, dass die herkömmlich verwendeten Freisetzungstestgeräte nicht in der Lage sind, biorelevante Belastungen auf eine telemetrische Kapsel auszuüben. Maximale Drücke von 14 mbar waren im eintauchenden Zylinder zu beobachten, welche wir jedoch auf den hydrostatischen Druck beim Eintauchen zurückführen konnten. Im Gegensatz dazu waren wir mit Hilfe unserer neuartigen In vitro-Freisetzungsmodelle in der Lage, vollständige Druckprofile nachzustellen, wie sie auch in vivo beobachtbar waren. Die Freisetzungsuntersuchungen der gastroretentiven Präparate Glumetza® 1000 und Madopar® Depot unter biorelevanten Bedingungen offenbarten die extreme Drucksensitivität dieser Systeme. Hierfür definierten wir auf Basis der In vivo-Daten drei realistische Druckprofile und stellten diese in vitro nach. Früh auftretende, leichte Belastungen während der Freisetzungstests führten bei der flotierenden Arzneiform Madopar® Depot bereits zur vollständigen Wirkstofffreisetzung. Glumetza® 1000 schien abhängig vom Quellungszustand auf die Belastungen zu reagieren, wobei spätestens stärkere Belastungen nach 6 h zur vollständigen Freisetzung des Wirkstoffs führten. Auf Basis dieser Ergebnisse ist anzuzweifeln, dass die bislang erhältlichen gastroretentiven Systeme über einen längeren Zeitraum im Magen intakt bleiben und kontrolliert ihren Wirkstoff freisetzen. Daneben können die entwickelten Testmethoden dazu genutzt werden, um die Entwicklung neuartiger gastroretentiver Systeme voranzutreiben.
Der Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die Wirkstofffreisetzung aus oral applizierten Darreichungsformen ist eine der zentralen Fragestellungen der Biopharmazie. In der vorliegenden Arbeit wurden die physiologischen Faktoren, die die Wirkstofffreisetzung aus festen oralen Darreichungsformen im postprandialen Magen beeinflussen können, näher charakterisiert. Zu diesem Zweck wurde ein biorelevantes In vitro-Freisetzungsmodell (Fed Stomach Model, FSM) entwickelt, das die Simulation mechanischer Beanspruchungen bei der Passage des postprandialen Magens ermöglicht. In speziellen Durchflusszellen konnten die Bewegungen der Arzneiform im Magen, intragastral auftretende Drücke sowie der Mediendurchfluss individuell kontrolliert und in physiologischen Größenordnungen simuliert werden. Die Eignung des FSM wurde anhand einer Zweischicht-Retardtablette mit dem Wirkstoff Diclofenac-Natrium untersucht. Die regionalen Besonderheiten des Magens hinsichtlich der mechanischen Beanspruchungen wurden dabei in Testprogrammen für den Fundus, das Antrum und die Magenentleerung berücksichtigt. Diese wurden, basierend auf den Ergebnissen einer Magnetic Marker Monitoring-Studie, ferner in drei verschiedenen Testszenarien, die das gastrale Lokalisationsverhalten einer oralen Arzneiform im postprandialen Magen über eine Dauer von 4 h beschreiben, in unterschiedlicher Abfolge miteinander kombiniert. Es konnte in Abhängigkeit der simulierten Testszenarien ein verschiedenartiges Freisetzungsverhalten der untersuchten Arzneiform beobachtet werden. Dabei führte die Simulation der milden Beanspruchungen im Fundus zu relativ geringen Freisetzungsraten. Aus den starken mechanischen Beanspruchungen, die die physiologischen Bedingungen im Antrum und während der Magenentleerung abbildeten, resultierten hingegen höhere Wirkstofffreigaberaten. Der Physiologie des Magens entsprechend, vermag das FSM die mechanischen Beanspruchungen, die potentiell auf eine feste orale Arzneiform einwirken, mit geringen Scherraten, aber mit kurzzeitig hohen Scherkräften zu simulieren. Das FSM wurde erfolgreich als ein biorelevantes In vitro-Freisetzungsmodell etabliert, das speziell die mechanischen Besonderheiten der Magenpassage einer festen oralen Darreichungsform berücksichtigt. Es kann dementsprechend die Entwicklung robuster Arzneimittel mit minimiertem Nahrungsmitteleffekt unterstützen, indem ein ungewünschtes Wirkstofffreigabeverhalten einer Formulierung frühzeitig identifiziert werden kann. Eine Magnetresonanztomographie (MRT)-Studie mit 12 gesunden Probanden lieferte erstmals Erkenntnisse zu den Volumina und Fettgehalten des Mageninhaltes nach Einnahme der hochkalorischen und fettreichen FDA-Standardmahlzeit. Der Mageninhalt wird gemeinhin als Auflösungsmedium für den in der Arzneiform enthaltenen Wirkstoff betrachtet, weshalb das zur Verfügung stehende Volumen ein entscheidender Faktor bei der Wirkstofffreisetzung ist. Das Mageninhaltsvolumen (gastric content volume, GCV) betrug nüchtern 31 ± 19 mL. Die Einnahme der Standardmahlzeit führte zu einem Anstieg des GCV auf 580 ± 38 mL. Verbunden mit dem nach Nahrungsaufnahme ebenfalls hohen Fettgehalt des Mageninhaltes von durchschnittlich 9,5 ± 1,0 %, kann dies eine Erhöhung der oralen Bioverfügbarkeit schlecht wasserlöslicher Arzneistoffe im Vergleich zur Nüchternapplikation bedingen. Während das GCV aufgrund der sich initial ausgleichenden Sekretions- und Entleerungsraten über 50 - 90 min relativ konstant war, überwog im Anschluss die Magenentleerung. Das GCV nahm dabei mit einer Rate von 1,7 ± 0,3 mL/min ab. Die Gabe von 240 mL Wasser 30 min nach Beginn der Nahrungsaufnahme führte zu einer kurzzeitig veränderten Magenentleerungskinetik. Das zugeführte Wasser wurde jedoch innerhalb kurzer Zeit aus dem Magen entleert. Bei entsprechend schneller Freisetzung eines Wirkstoffes aus der Arzneiform besteht somit die Möglichkeit, dass der Arzneistoff den Magen zügig mit dem parallel eingenommenen Wasser verlässt. Es wurde ferner gezeigt, dass selbst mehr als 6 h nach Nahrungsaufnahme sowohl das GCV als auch der Fettgehalt des Mageninhaltes im Vergleich zum Nüchternzustand signifikant erhöht waren. In klinischen Studien, bei denen die hochkalorische und fettreiche Standardmahlzeit verwendet wird, kann dementsprechend für mindestens 5 - 6 h von postprandialen Bedingungen ausgegangen werden. Die sich daraus ergebenden mechanischen und physikochemischen Besonderheiten müssen bei der Beurteilung der Studienergebnisse unbedingt berücksichtigt werden. Darüber hinaus können diese Erkenntnisse zur Optimierung der Testbedingungen von biorelevanten In vitro-Freisetzungsmodellen beitragen. Die In vitro- und In vivo-Ergebnisse der vorliegenden Arbeit belegten, dass die Bedingungen innerhalb des postprandialen Magens kritisch für die Wirkstofffreisetzung aus festen oralen Darreichungsformen sind. Die genaue Charakterisierung der Magenpassage ist für die Beurteilung von Nahrungsmitteleffekten somit von großer Bedeutung.